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Archiv-Artikel

Begnadeter Spielverderber

Eigentlich müsste Sergio Pinto mal mit der Straßenbahn nach Hause fahren und hinhören. Nach einem ganz normalen Bundesligaspiel wie dem gestrigen 2: 2 gegen Schalke 04, bei dem der Portugiese einen seiner ganz gewöhnlichen Auftritte hingelegt hat.

Kaum ein Profi im Team von Hannover 96 polarisiert so sehr wie der kratzbürstige Pinto. Viele Menschen in der Straßenbahn glauben, dass die Elf von Mirko Slomka auch deshalb so schwer zu bezwingen ist, weil Pinto als begnadeter Spielverderber glänzt. Der Mann rennt, grätscht, foult und provoziert dermaßen, dass so mancher Gegner verzweifelt oder die Nerven verliert. Manche in der Straßenbahn sehen aber auch, dass Pinto mit seiner Streitsucht und seinen Schauspiel-Einlagen Punkte kostet – und zwar Sympathiepunkte für Hannover 96.

Das Dumme für seine Gegenspieler ist das Schöne für seine Mitspieler: Pinto genießt die Rolle des Abräumers vor der Abwehr, in der er Schwein und Vorbild zugleich sein darf. Im modernen Fußball heißen solche Menschen „Aggressive Leader“. Im Fanblock spricht man von „Kampfsau“.

Pinto spielt dann erfolgreich, wenn er sich in ein Spiel kämpft. Bei fast jeder Gelben Karte gegen ihn – 48 in 163 Bundesligaspielen – findet er Gründe, warum der Schiedsrichter sie zu Unrecht gezeigt hat. Und bei vielen, eher normalen, Fouls gegen ihn geht Pinto zu Boden, als habe ihn der Blitz getroffen. Die Verantwortlichen des FC Bayern München behaupten, dass er auch bei der Oscar-Verleihung in Hollywood eine gute Rolle spielen könnte. „Aber ich bin kein Schauspieler. Ich kriege einfach viel ab und werde danach als Buhmann hingestellt“, sagt der 31-Jährige.

Die Abneigung vieler Kollegen, denen Pinto bei der Arbeit schon auf die Füße getreten hat, ist verständlich. Aber vielleicht ist dabei auch ein wenig Neid darüber im Spiel, dass hier einer aus seinen Möglichkeiten das Beste herausholt. Pinto überwindet den inneren Schweinehund, der auch die besten Profis lethargisch macht, mit erstaunlicher Regelmäßigkeit. Slomka kann sich blind darauf verlassen, dass sein Routinier stets mit breiter Brust den schmerzhaften Momenten eines Fußballspiels entgegeneilt. Pinto gewinnt so viele Zweikämpfe und ist an vielen Toren beteiligt, weil er sich und sein Gegenüber selten schont.

Aus der fleißigen Biene, die über Alemannia Aachen und Schalke 04 nach Hannover gefunden hat, ist ein wichtiger Leistungsträger geworden. Der FC Bayern musste das in dieser Saison schon einsehen. Werder Bremen auch. Gleiches gilt für Meister Borussia Dortmund. Sie alle haben sich an ihm die Zähne ausgebissen und in Hannover verloren. CHRISTIAN OTTO