Beginn der XVI.Olympischen Winterspiele: Im Schatten rutschender Schanzen
■ Das ökologische Sündenregister der Olympia-Erbauer im französischen Albertville ist lang: Pisten wurden in den Fels gesprengt und Hänge betoniert...
Im Schatten rutschender Schanzen Das ökologische Sündenregister der Olympia-Erbauer im französischen Albertville ist lang: Pisten wurden in den Fels gesprengt und Hänge betoniert. Und das für Projekte wie eine Bobbahn, für die es nach den Olympischen Spielen kaum eine Verwendung gibt.
Eine Bevölkerungsgruppe kann sich ganz besonders behaglich im Fernsehsessel zurücklehnen, wenn Monsieur Mitterrand heute in Albertville die XVI.Olympischen Winterspiele eröffnet: die Einwohner des Berchtesgadener Landes. Als 1987 der Austragungsort für die Spiele 1992 bestimmt wurde, war Berchtesgaden einer der Konkurrenten der französischen Region Savoyen. Albertville machte das Rennen. Dabei war Franz-Josef Strauß damals extra zur Unterstützung der bayerischen Bewerber nach Lausanne gereist — und hatte die empfindsamen Olympioniken offensichtlich so nachhaltig erschreckt, daß Berchtesgaden nur eine Handvoll Stimmen bekam.
Auch Schwedens Königin Silvia mußte enttäuscht heimreisen, den Zuschlag bekam im Rahmen einer IOC-typischen Kungelei Albertville. Weil Barcelona, Heimatstadt des IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch, den Parisern die Sommerolympiade wegschnappte, erhielten die Franzosen zum Trost den Winter. Zum ersten Mal wurde nicht eine Stadt Olympia-Ausrichter, sondern eine ganze, unter akutem Touristenschwund leidende Region.
Hurtig gingen die Organisatoren Michel Barnier und der 48jährige dreifache Goldmedaillengewinner von Grenoble 1968, Jean Claude Killy, daran, die Voraussetzungen für das weiträumige Spektakel zu schaffen, das in dreizehn Orten in einem 1.600 Quadratkilometer großen Gebiet vonstatten geht. Anfangs ließ sich die Sache noch gut an. Die Fernsehrechte, von denen die amerikanische Gesellschaft NBC mit 243 Millionen Dollar den Löwenanteil bestreitet, versprachen dicke Einnahmen, die Sponsoren purzelten nur so ins Haus, und die Gemeinden waren Feuer und Flamme und noch dazu bereit, die nötigen Sportstätten zu finanzieren. Killy gelang es sogar, zwölf Top-Sponsoren in einem Club zusammenzuschließen, den er frech nach Pierre de Coubertin benannte, dem närrischen Großvater des olympischen Gedankens und Propagandisten der völlig obsoleten Devise „Dabeisein ist alles“.
Je näher die Spiele rückten, desto mehr begann schiefzugehen. Der sinkende Dollarkurs reduzierte die Fernseheinnahmen, die neuen Schanzen von Courchevel und die Bobbahn von La Plagne rutschten herum wie ungezogene Kinder und mußten mit viel Beton stabilisiert werden. Den völlig verschuldeten Gemeinden ging langsam auf, daß ihnen Olympia die Haare vom Kopf fraß, und in den letzten Wochen fielen die Ökologen über das olympische Organisationskomitee COJO her wie die Piranhas.
Europaparlamentarier beklagten in einem Brief die Mißhandlung der savoyischen Alpen, der Uno-Sonderbeauftragte für den Irak, Prinz Sadruddin Aga Khan, in seiner Freizeit engagierter Naturschützer, warf den Franzosen vor, ihre Bergwelt schlimmer als alle anderen Länder entstellt zu haben, und zu guter Letzt setzte die Internationale Alpenschutzkommission (CIPRA) noch eins drauf und rechnete Killy und Konsorten akribisch ihre gesammelten Sünden vor: Rund eine Million Kubikmeter Felssprengungen; mindestens 33Hektar Rodungen, teilweise durch Brand; 330.000 Quadratmeter Flächenversiegelungen für Bebauung; cirka 100Hektar Umwandlung der Flächennutzung; 42 Wasserreservate für Trinkwasser und Schneekanonen wurden neu erschlossen.
Giftiges Ammoniak kühlt die Bobbahn
Und das alles für solch unnütze Dinge wie die Bobbahn von La Plagne, geladen mit 50Tonnen hochgiftigen Ammoniaks. Ganze 60 Bobfahrer gibt es in Frankreich, und Colette Paviet-Salomon, Bürgermeisterin von La Plagne jammert reuevoll: „Sie ist großartig wie der Eiffelturm, aber ich habe keine Ahnung, was wir mit ihr tun können.“
Hinzu kommt, daß die durch extensiven Straßenbau verbesserte Infrastruktur und die erhöhte Bettenkapazität der Olympiaregion geradezu danach schreien, spätere Nutzung und weitere Naturzerstörung zu forcieren. Neue Lifte und Abfahrten sind vorprogrammiert, im Sommer sollen Golfplätze und Vergnügungsparks für die touristische Ausnutzung der olympischen Popularität sorgen. So laut wurde die Stimme der Ökologie, daß sie sogar bis ganz oben auf den Olymp drang. Juan Antonio Samaranch, dessen Organisation noch vor wenigen Monaten die Winterspiele des Jahres 1998 trotz heftiger Proteste japanischer Umweltschützer ungerührt nach Nagano vergab, sprach plötzlich vor der IOC-Vollversammlung in Courchevel, im Schatten der rutschenden Schanzen, von der Notwendigkeit, ökologische Gesichtspunkte künftig bei der Auswahl der Olympiaorte einzubeziehen. Im gleichen Atemzug feierte er allerdings ausgerechnet das Duo Barnier/Killy, die ökologische Geißel Savoyens, als vorbildliche Alpenschützer. Als Beleg mußte einmal mehr die seltene Bergakelei herhalten, um die die Olympia-Abfahrt von Bellevarde extra einen dezenten Bogen macht.
Doch ab heute nachmittag stehen weder Bergakelei noch betonierte Hänge im Blickpunkt, sondern ganz andere Fragen: Werden die Geschwister Duchesnay die Herzen der Punktrichter erweichen können? Wird es Alberto Tomba schaffen, diesmal nicht den Ski zu verlieren? Wird Toni Nieminen den Schanzen von Courchevel ein Schnippchen schlagen? Und vor allem: Wird Francois Mitterrand heute im dachlosen Olympiastadion von Albertville so pitsche-patsche-naß werden, wie die Wetterfrösche nicht ohne Häme prophezeien? Matti Lieske, Albertville
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