Begabte Materialien

Modernes Figurentheater hat mit Kasperle nicht viel gemeinsam – bei Festivals wie den derzeit laufenden „Pole-Poppenspäler-Tagen“ in Husum zeigen die SpielerInnen Facetten ihrer Kunst. Eine von ihnen ist Stephanie Rinke, deren Kumpels selbst gemachte Lakentiere sind

„Nur wer die Figur als Partner akzeptiert, kann selbst glänzen“Neue Stücke entwickeln sich während des Spiels

von Esther Geißlinger

Es hebt den Schnabel, dreht den Kopf, schaut. Hüpft auf breitem Fuß, sein schlanker Leib vibriert vor Neugier. Plötzlich kippt es, löst sich fallend auf – auf der Tischplatte liegt nur ein altes Bettlaken. „Was macht Leben aus?“, fragt Stephanie Rinke, greift wieder nach dem Stoff, knifft mit einer Hand einen Hals und mit der anderen den Fuß. „Atmung, also ein Körper, den man mit Luft füllen kann. Und Bewegung. Dafür gibt es begabtes und weniger begabtes Material.“ Das Lakentier wandert über den Tisch, und es scheint, als sei die Frau dahinter unsichtbar – ein Effekt, den Rinke kennt: „Auf der Bühne bestimmen die Objekte. Wer sich ihnen nicht unterordnet, kann sie nur denunzieren, also dem Publikum klar machen, dass es eine Puppe ist.“ Das Lakentier schaut fragend zu ihr auf, Rinke lächelt: „Aber wenn ich die Puppe als Partner akzeptiere, kann ich auch glänzen.“

Die 33-Jährige ist Figurenspielerin und bewegt sich damit in einer Bühnenform, die viele immer noch gleichsetzen mit Kasperle-Theater. Doch das moderne Figurentheater hat damit nicht viel gemein, obwohl Rinke sagt: „Natürlich gibt es die traditionelle Richtung. Das wird es immer geben, und Marionetten, die ich wunderbar finde, werden immer ihr Publikum haben. Aber andere Künstler testen die Grenzen des Genres aus.“ Denn Figurentheater verwendet all und jedes: „echte“ SchauspielerInnen, Puppen, Scherenschnitte, Gegenstände, Tücher – alles, was sich eignet, um einen Effekt, ein Gefühl zu erzeugen. Damit sind phantastische Bilder möglich, die sonst nur der Hollywood-Film schafft. Mit einem Akkordeon etwa lässt sich eine Sexszene so plastisch hörbar machen, dass der ganze Saal rote Ohren kriegt, ein Krieg droht als Schattenbild von der Wand, ein Mensch verwandelt sich durch eine Maske in ein Halbwesen, ein Laken wird Tier.

„Der Zauber liegt im Übergang, in der Bewegung“, sagt Rinke. Als Kind hat sie eine Räuber-Hotzenplotz-Marionette gehabt; der war eine Weile ihr ständiger Begleiter. Zum nächsten Weihnachtsfest gab es das übrige Ensemble dazu, aber das fand sie schon nicht mehr so spannend: „Um etwas lebendig scheinen zu lassen, braucht man nicht das Abbild des Menschen. Ein Lappen ist geeigneter als ein Holzklotz mit Gesicht.“

Gerade Kinder sind ein kritisches Publikum, weiß die Spielerin, die in ihrem Repertoire Stücke für Groß und Klein hat: „Mit dem Publikum verabreden, dass wir alle etwas sehen wollen, klappt nicht. Entweder es ist zu sehen oder nicht.“ Darum dauert es lange, ein neues Stück auf die Bühne zu bringen, und die Arbeit am grünen Tisch bringt wenig. In der Improvisation entwickeln sich Bilder, die funktionieren.

Rinke hat ihre Kunst an der Fachhochschule in Stuttgart studiert. Eine zweite Hochschule für Figurentheater gibt es in Berlin. Für Rinke, die als Jugendliche Schauspielerin oder bildende Künstlerin werden wollte, war dies der perfekte Weg, beides zu vereinen. „Zum Glück musste ich keine Widerstände überwinden – meinen Eltern war klar, dass ich in die künstlerische Richtung gehen wollte.“

Der Erfolg gab ihr Recht: Schon ihr Debütstück „Bossa Nova – Totentanz im Petticoat“, mit dem sie 1997 ihr Studium beendete, wurde ausgezeichnet. Später hat sie mit einem Kollegen das „Theater Paradox“ gegründet. Sie ist viel unterwegs, spielt bei Festivals, in Kindergärten oder bei Gesellschaften. In Stuttgart gibt es eine Bühne, die von mehreren Theatergruppen bespielt wird. Rinke bedauert, dass es selten größere Ensembles sind, aber finanziell trägt eine Puppenbühne meist nur eine bis zwei Personen.

Festivals sind Gelegenheiten, andere Spieler zu treffen – und das Publikum strömt in größerer Zahl. In Schleswig-Holstein gilt das vor allem für die Husumer „Pole-Poppenspäler-Tage“, die zurzeit zum 21. Mal stattfinden. Noch bis zum 27. September tanzen dort die Puppen und Objekte. Stephanie Rinke ist morgen ab 21 Uhr im Rathaus zu sehen. Das Lakentier bleibt zwar im Koffer, dafür wird ein Skelett ausgepackt, das Bossa Nova tanzt.

Die Aufführungen finden an verschiedenen Orten in Husum statt. Info: www.pole-poppenspaeler.de bzw. Tel.: 04841/872385