: Befreite Schwarze Körper
Die norwegische Künstlerin Frida Orupabo dekonstruiert den kolonialen Blick auf Schwarze Körper. Mit Collagen aus Archivbildern schafft sie Bilder von Widerstand und Selbstermächtigung. Im Sprengel-Museum in Hannover sind 30 ihrer Werke zu sehen

Von Theresa Weise
Ein riesiger, Schwarzer Kopf starrt durch mehrere Räume hindurch, die Augen weichen der Kamera aus. Der Blick der Person of Colour wirkt kritisch. Über der rechten Augenbraue ragt eine Hand mit einer Stricknadel und einem Faden hervor. Es scheint, als wäre ein Teil des Gesichtes überstrickt und das Foto durch Verzerrung und Manipulation verändert worden, auch ist das Geschlecht nicht eindeutig zuzuordnen. Der Kopf wird zu beiden Seiten von schweren, dunkelgrünen Vorhängen eingerahmt, die symbolisch zwischen Verbergen und Offenbaren, Schützen und Präsentieren, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit wechseln.
Die Wandinstallation „Grandma’s House“ (2023) der norwegischen Künstlerin Frida Orupabo erstreckt sich mehrere Meter breit und hoch über eine Wand. Wer vorbeigeht, bleibt stehen, hält inne, blickt zurück, auf den Boden, zur Seite. Die Künstlerin setzt sich mit dem kolonialen Blick Europas auf Schwarze Menschen auseinander – ein Blick, den sie schonungslos offenlegt und konsequent dekonstruiert. „Für mich ist es eine Art, mich der Objektivierung zu verweigern, wenn ich Werke schaffe, die auf die Betrachtenden zurückblicken – und sagen: Ich sehe dich.“
Orupabo stellt im Sprengel-Museum in Hannover im Rahmen des „Spectrum – Internationaler Preis für Fotografie“ 30 Werke aus. Überwiegend arbeitet sie mit digitalen und physischen Collagen und setzt sich mit Themen wie Geschlecht, Rassismus, Sexualität, Schönheit und Klasse auseinander. Dabei untersucht sie die Verflechtungen dieser Themen und richtet ihren Fokus auf weiße Fantasien über Schwarze Körper – insbesondere Schwarze weibliche Körper. Sie macht die Verletzungen und Folgen von Fremdbestimmung sichtbar und öffnet Räume für Widerstand und Selbstermächtigung. Ihre Arbeiten speisen sich aus persönlichen Erfahrungen, die eng mit kollektiven, geteilten Erlebnissen verwoben sind.
Orupabo wuchs in einer Kleinstadt auf, etwa eine Stunde von Oslo entfernt. Seitdem sie denken kann, fehlt es ihr an Bildern, Fotos, Videos, die ihre Realität widerspiegeln. Die ausgebildete Soziologin begann während ihrer Tätigkeit in einem Zentrum für Opfer von Menschenhandel und Prostitution, Bilder aus dem Internet zu sammeln. Sie eröffnete den Instagram-Account @nemiepeba, dort zeigt sie persönliche und historische Archivfotos mit Inhalten aus Literatur, Philosophie und Poesie. Nach ihrer ersten Ausstellung in der Serpentine Gallery in London entwickelten sich aus dem Archiv zunächst Fotomontagen, später Skulpturen und schließlich Videos.
Befreite Körper
Frida Orupabo, „Spectrum – Internationaler Preis für Fotografie“ der Stiftung Niedersachsen: bis 20. Juli, Hannover, Sprengel-Museum
Orupabo knüpft an die Tradition der Fotomontage an: Sie manipuliert, zerschneidet, arrangiert, invertiert und wiederholt Bilder. Dabei steht das Leben der People of Colour und seine Darstellung in Schrift, Fotografie, Film und Musik im Vordergrund. Sie nutzt die Technik in einer Weise, die koloniale Vorstellungen, die noch immer in vielen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen verankert sind, infrage stellt.
Ein Beispiel ist die Arbeit „Can we Pretend“ (2024). Sie zeigt eine als Schwarz gelesene Frau, deren Kopf unterhalb der Nase abgeschnitten ist. Ihre voluminöse Frisur dominiert den oberen Bildbereich und macht den größten Teil des verbliebenen Kopfes aus. Verschiedene schwarz-weiße Papiere sind mit Spreizklammern zusammengefügt. Der Oberkörper setzt sich aus unterschiedlichen Fotografien zusammen. Besonders auffällig ist die Brustpartie: Sie ist heller als der Rest des Körpers und könnte von einer weißen Frau stammen – ein Bruch, der Irritation erzeugt. Die Hände sind zu Halbfäusten geballt. Durch die Art des Zuschnitts wirken sie zugleich unfähig zu greifen und kurz davor, sich zur Abwehr oder zum Angriff zu erheben.

Unterhalb des Bauchnabels fehlt der Schambereich. Stattdessen sehen wir ein Gesäß, vor dem eine Handtasche montiert ist – ein symbolischer Schutzschild, der den Blick der Betrachtenden abwehrt oder umlenkt.
In ihren Collagen befreit Orupabo Körper so aus den Fesseln kolonialer Archive und gewaltvoller Bildwelten. Aus Fragmenten unterschiedlichster Herkunft formt sie neue Figuren und Narrative. Es entstehen Gestalten des Widerstandes: losgelöst von tradierten Rollenbildern, in autonome Positionen versetzt – sie begegnen den Betrachtenden mit einem Blick, der nicht bittet, sondern fordert. Die Fragilität des Papiers, auf dem die meisten dieser Figuren entstehen, steht in starkem Kontrast zu ihrer Präsenz – zu jenen Blicken, die uns durch die Hallen fixieren und einen inneren Dialog herausfordern, der noch lange nachhallt.
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