Beck: Der Provinzkanzler
Selbst in Ruanda macht Kurt Beck die Rheinland-Pfalz-Nummer: Geht auf Menschen zu. Fasst sie an. In Berlin funktioniert das nicht. Kann so einer Kanzler werden?
Geschlagene drei Stunden hat Kurt Beck mit dem Geländewagen von Kigali bis nach Ruli gebraucht. Drei Stunden für 60 Kilometer. Vorbei an Lehmhütten und Ruinen ist er gefahren, an Bananenfeldern und Kaffeeplantagen. Es ging über Straßen, die noch nie welche waren, über Wege mit Schlaglöchern, so groß wie der Viktoriasee. Beck durfte am eigenen Leib erfahren, warum Ruanda das Land der tausend Hügel genannt wird, hoch und runter ging es, unaufhörlich wurde er im Auto durchgeschüttelt. Die Menschen, an denen er vorbeifuhr, vor allem Kinder, lachten und winkten ihm zu, als sei er der Staatspräsident persönlich.
Als Beck in Ruli ankommt, steht die Sonne am höchsten Punkt des blauen Himmels. Die Luft ist feucht und die Erde rot. Beck ist in einer anderen Welt, ein paar tausend Kilometer von Mainz entfernt. Und was macht er hier in diesem abgelegenen ruandischen Dorf? Bringt die Rheinland-Pfalz-Nummer. Das Kurt-Beck-Ding. Geht auf die Menschen zu. Fasst sie an. Schüttelt ihnen die Hand. Fragt sie aus. Hört ihnen zu.
Beck besucht das Krankenhaus des Dorfes. Es wurde 1991 mit Geldern eines gemeinnützigen Vereins aus Kaiserslautern gebaut, heute gehören eine Augenklinik, eine Krankenpflegeschule, ein Waisenhaus und ein Wohnheim dazu. Mittlerweile ist das Krankenhaus eines der bedeutendsten Gesundheitszentren Ruandas. Beck spricht mit Ärzten, mit Schwestern, mit Patienten. Er fragt nach der genauen Zahl der Arbeitsstunden, lässt sich medizinische Geräte zeigen, will wissen, ob es regionaltypische Augenkrankheiten gibt. Er überspringt sogar die Hürden, die sich ihm in den Weg stellen, weil er, bis auf ein paar Brocken pfälzisches Englisch, keine einzige Fremdsprache spricht. Als in der Augenklinik eine deutsche Ärztin auf einen ruandischen Mitarbeiter zeigt und sagt, das sei ihr bester Mann, stürmt Beck sofort auf ihn zu. Seine Dolmetscherin ist nicht in der Nähe. "Hello", sagt Beck. "I heard you are the best man here." Der Mann versteht ihn nicht. "You make a good job?", hakt Beck nach. Wieder keine Antwort. Beck stört das nicht. "Merci beaucoup", sagt er plötzlich. "Au revoir!" Beck reicht ihm zum Abschied die Hand. Jetzt lächelt der beste Mann.
Das Kurt-Beck-Ding in Ruanda
Kurt Beck weiß, dass die Journalisten in Berlin über sein komisches Englisch und sein Dreiwörterfranzösisch gleich wieder herziehen würden. Wie es vielen in der Hauptstadt ja sowieso nicht besonders schwer fällt, sich über diesen Ministerpräsidenten Hotzenplotz aus Rheinland-Pfalz lustig zu machen. Über seinen Meckihaarschnitt, den ihm seine Frau Roswitha, eine gelernte Friseurin, regelmäßig im Keller ihres Hauses verpasst. Über seinen Pfälzer Bauch, der über den Gürtel seiner Hose fällt. Über seine Pfälzer Anzüge, die er zweimal im Jahr im Bekleidungshaus Michel in Landau kauft und die so ziemlich das Gegenteil von Brioni sind. Über seinen Pfälzer Singsang, der seine Reden so harmlos und ermüdend macht.
Diese Häme verstellt leicht den Blick auf das Wesentliche: Dieser Pfälzer Kurt Beck ist ein Menschenfreund. Er "kann med de Leut", wie sie bei ihm zu Hause sagen. Er kommt ja selbst aus kleinen Verhältnissen. 1949 in Bad Bergzabern in der Südpfalz geboren, Vater Maurer, Mutter Hausfrau. Acht Klassen Volksschule, anschließend Ausbildung zum Elektromechaniker. Höhere Schule, Abitur gar? War nicht dran zu denken, es gab ja nicht mal Geld für Klassenfahrten. Als er den Realschulabschluss nachholte, war er bereits 23 Jahre alt. Kurt Beck wird nie verstehen, wie man für ein paar Schuhe 400 Euro ausgeben kann. Und er hält Großspurigkeit nicht für einen Ausdruck von Weltläufigkeit.
Kurt Beck hat sich erst in der katholischen Jugend und dann in der Gewerkschaft organisiert. Er wollte "nach vorn, gestalten, mitmachen", wie er später sagte. Dafür brauchte er nicht Marx, Engels und Lenin zu lesen. Von Revolution hat er Ende der 60er nicht einmal geträumt. Seine Weisheiten lauschte er seiner Großmutter ab. "Die Trepp werd von obbe geschrubbt", sagte die immer.
Beck ging zur Bundeswehr, arbeitete als Funkelektroniker beim Heeresinstandsetzungswerk in Bad Bergzabern und wurde dort Personalratsvorsitzender. 1972 trat er in die SPD ein, 1973 wurde er Mitglied im Kreistag Südliche Weinstraße, 1979 im rheinland-pfälzischen Landtag.
Fleißig und zuverlässig arbeitete sich Beck in der Parteihierarchie seines Landes nach oben, nicht langsam, sondern gründlich: parlamentarischer Geschäftsführer, Fraktionschef, Landesvorsitzender. 1994, durch Rudolf Scharpings Wechsel nach Bonn, wurde Beck Ministerpräsident. Dieses Amt verteidigte er bei drei Wahlen: 1996, 2001 und 2006. Im November 2003 wurde er zum SPD-Bundesvize gewählt, im Mai 2006 dann zum SPD-Vorsitzenden. Alle waren weg: Schröder, Müntefering, Platzeck - Beck war der Übriggebliebene. J. K.
Das spüren sie auch hier in Afrika, in Ruanda, selbst wenn die meisten kein einziges Wort verstehen, das dieser große, weiße Mann in dem hellen Jackett und der braunen Hose von sich gibt. Einen Tag nach dem Ausflug nach Ruli besucht Beck ein Jugendausbildungszentrum in Gatenga. Hier lernen ehemalige Straßenkinder schreinern, maurern, schweißen und schneidern. Als Beck in eine der Werkhallen kommt, legt er sofort sein Jackett ab, greift zum Winkeleisen, schnappt sich die Wasserwaage. Einem der Jungen hilft er beim Bau einer kleinen Wand. Er weiß, wie man die Maurerkelle hält. "Very good!", ruft Beck den Jugendlichen immer wieder zu. "Very good!" Er freut sich über das, was sie hier beigebracht bekommen. Das-Kurt-Beck-Ding eben.
"Der Gorilla sieht ja aus wie ich"
Beck kennt sich in Ruanda ganz gut aus. Es ist sein vierter Besuch in diesem kleinen Land im Herzen Afrikas. Rheinland-Pfalz pflegt mit Ruanda seit 25 Jahren eine besondere Partnerschaft. Sie verspricht Hilfe von unten - bürgernah, konkret, effizient, organisiert vor allem von privaten Initiativen. Fast so, wie Kurt Beck zu Hause Politik betreibt. Er macht die Probleme dieser Welt ja gern so klein, bis sie sich in Rheinland-Pfalz zurechtfinden. Die Grundlage der Partnerschaft mit Ruanda beschreibt er so: "Wir sind Menschen, die einander mögen."
Überall dort, wo Beck sich auskennt, fühlt er sich wohl. Dann ist er ganz bei sich, entspannt, freundlich, souverän. Dann ist Kurt Beck der Kurt Beck, den seine Rheinland-Pfälzer kennen und lieben, dann ist er "der Kurt", der sogar über sich selbst lachen kann. Bei einem Mittagessen im Gorillas, einem Restaurant im Zentrum von Kigali, kann man einen dieser seltenen Momente bestaunen. Die Bürgermeisterin der Hauptstadt schenkt dem Ministerpräsidenten ein Bild mit zwei Berggorillas. Der nimmt es freudig entgegen, schaut kurz auf das Bild, zeigt mit dem Finger auf den größeren der beiden Gorillas und sagt: "He looks like me." - Der sieht ja aus wie ich.
Selten wird diese entspannte Atmosphäre in Ruanda getrübt. Wenn, dann muss allerdings auch nur einmal das Wort "Berlin" im Zusammenhang mit "SPD-Vorsitz" fallen, und schon explodiert dieser eben noch so gemütliche, freundliche Kurt Beck. Eine falsche Frage eines Journalisten, und der Vorsitzende ebendieser SPD geht ab wie eine Rakete, von null auf hundert. "Entschuldigung", brüllt er dann, "aber diesen Quatsch kann ich nicht mehr hören. Wirklich nicht." Man weiß gar nicht, welchen Quatsch er meint, die Frage war harmlos. Aber man versteht in dem Moment, was Andrea Nahles, die SPD-Linke, meinte, als sie ihren Landsmann Kurt Beck einmal als "Buddha mit Sprengkraft" bezeichnete.
Die Feierlichkeiten zum 25-jährigen Jubiläum der Partnerschaft Anfang Juni sind für Beck fast ein Heimspiel. "Rhineland-Palatinate" und seine Projekte genießen in Ruanda einen hervorragenden Ruf. Der Ministerpräsident dieses kleinen deutschen Bundeslandes wird hier überall mit "Eure Exzellenz" angesprochen. Paul Kagame, Staatspräsident und starker Mann von Ruanda, nennt ihn einen "Freund". Und in Gatenga, im Jugendzentrum, begrüßen sie ihn sogar als "Präsidenten".
In Ruanda wird Beck oft gefragt, ob Deutschland eigentlich in Rheinland-Pfalz liegt.
Das ist eine wirklich gute Frage. In Bezug auf Kurt Beck möglicherweise sogar die alles entscheidende. Die Helmut-Kohl-Frage. Wo schlägt Deutschlands Herz? In der Provinz, in Rheinland-Pfalz, in Mainz - oder im Zentrum, in der Hauptstadt, in Berlin? Bildet ein Rheinland-Pfälzer, der Sicherheit, Famillje, einen guten Wein und deutsche Schlager schätzt, die Bundesrepublik und die Mentalität ihrer Bürger genauer ab als ein politischer Bescheidwisser aus Berlin, der zwischen Kanzleramt samt angeschlossenen Cafés und der betuchten Szene in Prenzlauer Berg in seinem eigenen Orbit schwebt?
Liegt Deutschland möglicherweise doch in Rheinland-Pfalz?
Solche Fragen werden unausgesprochen immer mit verhandelt, wenn es um Kurt Beck und seine politischen Erfolgsaussichten als SPD-Vorsitzender geht. Da war ja im zurückliegenden Jahr eine erstaunliche Wendung zu beobachten. In den ersten Monaten als neuer Parteichef hatte Beck ganz gute Noten bekommen, weil er die SPD nach Schröders Eskapaden und Münteferings Autismus mit seiner ruhigen Art stabilisiert hat. Beck war schnell auf Augenhöhe mit Merkel und Stoiber, die Medien sahen ihn als "Mitkanzler". Seit ein paar Wochen jedoch, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, wird nur noch über den "Provinzdeppen" Kurt Beck geschrieben. Als "Kurt Scharping" wird er verspottet. Von der Selbstentzauberung des SPD-Vorsitzenden ist die Rede. "Der Beck zieht nicht", sagt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa und selbst SPD-Mitglied. Der Spiegel schreibt von einem bösen Verdacht: "Kaiser Kurt ist womöglich ein Kaiser ohne Kleider." Immer mehr Hauptstadtjournalisten raunen einander zu, Beck habe insgeheim schon entschieden, 2009 nicht als Kanzlerkandidat gegen Merkel anzutreten und einem Aussichtsreicheren den Vortritt zu lassen.
Ja, so tickt sie, die große Politik fern der Provinz. Eine einzige nervöse Zone. Heute bist du oben und schon morgen wieder unten, dazwischen liegen höchstens ein paar kleine Fehler und Ungeschicklichkeiten, der Rest ist Berliner Windmaschine und freie Interpretation der Lage. Aber was ist die Lage?
Beck kann auch Basta
Beck hatte kein wirklich gutes erstes Jahr als SPD-Vorsitzender, aber auch kein schlechtes. Seine Umfragewerte sind mies. Die Dauerkrise seiner Partei hält an. Die SPD leidet an der großen Koalition. Aber war das unter dem Hoffnungsträger Matthias Platzeck, Becks Vorgänger, etwa anders? Und wie sollte ein Vorsitzender dieses Grundproblem noch jeder sozialdemokratischen Partei in Westeuropa im Alleingang lösen? Mit Basta!?
Obwohl, Basta kann Beck auch. Er ist machtbewusster, als viele glauben. Er hat sein Ziel nicht aus den Augen verloren: 2009 will der Pfälzer Bundeskanzler werden, Chef der ersten Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen. Natürlich redet er darüber nicht öffentlich, er trifft sich lieber still und heimlich mit FDP-Chef Westerwelle und dem Grünen-Vorsitzenden Bütikofer. Erstens redet man über Koalitionen sowieso nicht, sondern schmiedet sie, wenn ihre Zeit gekommen ist. Und zweitens ist noch mehr Spott das Allerletzte, was der SPD-Vorsitzende gerade brauchen kann. Beck will Kanzler werden - diese Schlagzeile wäre doch der Lacher des Jahres, die Nummer würde bei Harald Schmidt und Stefan Raab hoch und runter laufen.
Er kann ja im Moment sowieso tun und lassen, was er will - am Ende heißt der Trottel immer Kurt Beck. Gespräche mit "gemäßigten Taliban" in Afghanistan? Ah, der Pfälzer macht Weltpolitik, höhnen alle. Kritik an den mageren Ergebnissen des G-8-Gipfels? Beck gönnt der Kanzlerin keinen Erfolg, heißt es. Einen Aufsatz in der FAZ Anfang der Woche, in der er der Union "Neoliberalismus" vorwirft? Geschwurbel von Pannen-Beck, steht in den Zeitungen.
Vielleicht hilft ein bisschen Abstand. Dann findet man ein paar Antworten auf die Frage, wozu Kurt Beck fähig ist. Warum dieser Mustersozialdemokrat drei Wahlen hintereinander gewonnen hat, die letzte sogar mit absoluter Mehrheit, und das in einem ziemlich schwarzen, konservativen Land, von dem es bis vor kurzem noch hieß, eher werde der Bischof von Trier SPD-Mitglied, als dass die Sozis hier allein regieren.
Händeschütteln als Politik
Mainz am Freitag nach Christi Himmelfahrt. Hier kann man beobachten, wie das mit dem Ministerpräsidenten und seinem Land funktioniert. In der Rheingoldhalle sind so ziemlich alle berühmten Rheinland-Pfälzer von gestern und heute zusammengekommen, um den 60. Geburtstag ihres Landes zu feiern. Kurt Beck hat ein paar einfache Bürger dazu geladen, die zwar nicht so berühmt, aber in seinen Augen genauso wichtig sind wie die noblen Festgäste: Sie haben an diesem Freitag ebenfalls 60. Geburtstag.
Drinnen im Festsaal hält der Gastgeber eine seiner typischen Beck-Reden, freundlich, ausgewogen, langweilig. Über die "Seele von Rheinland-Pfalz" spricht der Ministerpräsident, womit er die "lebensbejahenden und im überdurchschnittlichen Maß ehrenamtlich engagierten Menschen" meint. Draußen dann, im festlich geschmückten Foyer, fängt Beck diese Seele höchstpersönlich ein. Er geht zu jedem einzelnen Gast, schüttelt ihm die Hand, sagt ein paar Worte, die guten Bekannten umarmt er, manche drückt er gleich an seine Brust. Egal ob Helmut Kohl, der Starschauspieler Mario Adorf, die Stimmungskanone der Mainzer Fastnacht, Margit Sponheimer, oder der unbekannte Winzer von den Südlichen Weinstraße - Beck behandelt sie alle gleich.
Als nach zwei Stunden Umarmen sein persönlicher Referent nervös auf die Uhr tippt, weil bereits der nächste Termin wartet, reagiert der Ministerpräsident nicht. Er zieht weiter seine Runde durchs Foyer. Er geht zu den Köchen. "Danke für das tolle Buffet", sagt er. Dann ab zu den Garderobenfrauen. "Tollen neuen Arbeitsplatz haben Sie hier." Und dann weiter zu den Türstehern. "Ich wünsch euch was, gell?" Und als Beck schließlich doch noch vor Anbruch der Dunkelheit die Rheingoldhalle verlässt, geht er als Erstes auf die Gäste im Café am Rheinufer zu. "Schön, dass Sie hier sind. Alles Guuudde."
Für Beck ist das Händeschütteln der Beginn aller Politik. Diese unverkrampfte Volksverbundenheit ist die Grundlage seines Erfolgs. Auf diese Weise hat er das ganze Land durchpflügt, Tag für Tag, auch an den Wochenenden, 13 Jahre lang. Beck ist ein Arbeitstier - kein Pferd für die Zirkusmanege. Heute kennt er zwischen Bad Neuenahr-Ahrweiler und Schweigen-Rechtenbach jeden einzelnen Rebstock, jeden SPD-Ortsverein sowieso. Seit 1994 regiert er hier schon, wenn Stoiber im Herbst abtritt, ist Beck der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands. In dieser Zeit hat er aus Rheinland-Pfalz ein ziemlich modernes Land gemacht. Ganztagsschulen, ein kostenloses Kindergartenjahr, mit rund 7 Prozent die drittniedrigste Arbeitslosenquote der Republik - das ist Becks Werk. Das Ergebnis von Konsenspolitik. Allen wohl und niemand weh.
Von seinen Mitarbeitern erwartet Beck absolute Loyalität, Offenheit nach innen und Verschwiegenheit nach außen. Seinen Ministern schenkt er Vertrauen - und erwartet, dass dieses Vertrauen dann auch zurückgegeben wird. "Kurt Beck ist eine unglaublich starke Führungsfigur", sagt Jürgen Zöllner. "Ein Politiker seiner positiven menschlichen Qualität ist in der Medienwelt in Berlin nicht so einfach vermittelbar." Zöllner war zwölf Jahre lang Bildungs- und Wissenschaftsminister in Rheinland-Pfalz, er ist mit Beck befreundet. Er weiß, wovon er redet. Er gilt als der innovativste Landesbildungsminister der Bundesrepublik. Im vorigen Jahr hat ihn Klaus Wowereit nach Berlin geholt.
Becks Standort - die Südpfalz
Wer wissen will, wer Kurt Beck ist, darf nicht in Mainz bleiben, er muss weiter in Richtung Süden fahren, vorbei an sanften Landschaften und einem schier endlosen Rebenmeer, bis nach Steinfeld. Ein 2.000-Seelen-Dorf in der Südpfalz, nur zwei Kilometer entfernt von der französischen Grenze. Eine Kirche, zwei Supermärkte, drei Ampeln und kaum mehr als vier Namen auf dem Friedhof. Die meisten Gräber hier tragen die Namen Aprill, Bast, Schwöbel und Beck. Die Steinfelder bleiben gern unter sich, seit Jahrhunderten schon. Wer in dem Dorf groß wird, geht nicht gerne weg.
Kurt Beck ist auch geblieben. Hier liegen seine Wurzeln. In den Trümmern von Hitlers berüchtigtem Westwall, der sich mitten durchs Dorf zog, hat er als kleiner Junge mit seinen Freunden gespielt. Das Haus der Eltern hat Kurts Vater, Oskar Beck, der Maurer, selbst gebaut. Jahre später hat der Sohn sein eigenes Haus gleich dahintergesetzt. So stehen sie heute noch da, im Feldpfad, gleich hinter der Grundschule des Dorfes. "Beck O." und "Beck K." steht an den blauen Briefkästen.
Viel geändert hat sich in Steinfeld nicht, außer dass in diesem schwer katholischen Ort plötzlich ein Sozi Bürgermeister war: Kurt Beck. Fünf Jahre lang, von 1989 bis 1994, machte er diesen Job nebenbei. Und bis heute hält er in seinem Wohnhaus eine Bürgersprechstunde ab, wenn auch im letzten Jahr nur noch alle drei Monate. Immer unter vier Augen, ohne Mitarbeiter. "Man braucht einen festen Standort", sagt Beck. "Ich muss wissen, wie die Leute fühlen. Zuhause ist für mich wichtig und wird es auch bleiben."
Eingesperrt fühlt sich Kurt Beck in Steinfeld nicht, obwohl harte Regeln gelten. Im Dorf wird immer noch geguckt, wer mit wem nach Hause kommt. Als 1968 Kurt und seine Roswitha ihren Sohn erwarteten, mussten sie heiraten. "Da gabs nicht viel zu diskutieren", sagt Beck heute. Damals war er 19.
Roswitha Beck, die hier alle nur "Rosi" nennen, geht im benachbarten Bad Bergzabern immer noch "schaffen", wie die Pfälzer sagen, seit 38 Jahren schon. Als Friseurin bei "Fashion Hair Design", zweimal die Woche, nicht weil sie das Geld braucht, sondern weil es ihr Spaß macht. "Für uns isches der Kurt", sagen die Steinfelder, "a Eschter von hier."
Kann so einer Bundeskanzler werden?
Warum nicht? Kohl, Schröder und Merkel, allesamt keine Überflieger, bevor sie ins Amt kamen, konnten das ja auch. Beck ist kein Vordenker, sondern ein solider Handwerker, ein Problemlöser. Wie er es mit seiner ausgebluteten SPD allerdings bis ins Kanzleramt schaffen will, hat er noch nicht erkennen lassen. Und was er, einmal an der Macht, dann anstellen will, auch noch nicht.
Niemand muss ihm sagen, dass Mainz nicht mit Berlin zu vergleichen ist. Das hat er bei seinem Vorgänger Rudolf Scharping gesehen. Mittlerweile erfährt er es ja auch leidvoll am eigenen Leib. Die Hauptstadt ist schneller, aufgeregter, unkonkreter, gefahrvoller. Hier liegen überall Fallen aus. In Mainz wird Beck mit seinen Stärken wahrgenommen - in Berlin gieren sie alle immer nur nach seinen Schwächen.
In der Hauptstadt hat er all das nicht, was ihn in Rheinland-Pfalz erfolgreich macht: eine Hausmacht, natürliche Autorität, unbedingte Loyalität in seinem engeren Umfeld, eine braves Pressekorps, übersichtliches Terrain. In Berlin gibt es doch tatsächlich Leute, die ihn nicht kennen - und, noch schlimmer, Menschen, die er nicht kennt. Das macht ihn misstrauisch. Den Zuwachs an Macht erlebt er als persönlichen Kontrollverlust.
Die Kritik und das Herumnörgeln an seiner Person empfindet Beck als permanenten Anspruch, sich ändern zu müssen, erzählen seine Freunde. Das irritiere und kränke ihn. Sich ändern - mit 58, als erfolgreicher Ministerpräsident? "Ich habe keine Lust, mich in eine Schublade stecken zu lassen", sagt Beck. "Dazu bin ich zu alt und zu erfahren." Er erzählt von unzähligen Briefen und Mails, die ihn erreichten, in denen die Genossen von der Parteibasis schrieben, er solle sich bloß nicht verrückt machen lassen.
Traurige Szene: Beck neben Bono
Aber wie geht das: Ruhig bleiben in diesen verrückten Zeiten? Neulich stand dieser Steinfelder Kurt Beck im Willy-Brandt-Haus in Berlin neben der globalen Popikone Bono. "Ich begrüße einen Mann, dessen Musik viele von uns mögen", sagte Beck. "Ich persönlich zähle mich dazu." Er nannte Bono "den Chef von U2". In der SPD-Parteizentrale waren so viele Kameras aufgebaut wie lange nicht mehr. Beck sagte irgendwas von "afrikanischem Engagement", das Bono und er gemeinsam "in der Politik widerspiegeln lassen wollen", um es später "in die Arbeit der Bundesregierung einzuspeisen". Es war ein trauriger Anblick. Man hätte aus diesem sprachgestörten Berlin-Beck gern den Stecker herausgezogen. Kann das funktionieren: Kurt Beck als Antwort des deutschen Durchschnittsbürgers auf die Zumutungen der Posen- und Glamourpolitik?
In einer entspannten Abendrunde in Ruanda, im vierten Stock des Hotels Des Mille Collines in Kigali, wurde er gefragt, was er eigentlich davon halte, dass er hier immerzu gefragt werde, ob Deutschland in Rheinland-Pfalz liegt. In Becks Gesicht setzte sich ein breites Lächeln. "Ich finde", antwortete er, "das ist eine wirklich gute Frage."
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