Beat Generation im Centre Pompidou: Techniken des Rausches
Jack Kerouac, Allen Ginsberg und andere Hipster: Eine Schau im Pariser Centre Pompidou zeigt die Vorgeschichte von Underground und Punk.
Die erste Frage, die man Kurator Philippe-Alain Michaud und sich selbst stellt, ist die des „Warum?“. Warum sie? Warum jetzt? Warum zeigt ein Museum wie das Centre Pompidou in Paris im Sommer 2016 eine Ausstellung über die Schriftsteller der sogenannten Beat Generation, einen Parcours rund um Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Gregory Corso, Brion Gysin, Leroi Jones, Michael McClure und all die anderen mehr oder weniger bekannten, mehr oder weniger bedeutenden Figuren, die sich ab den 50er Jahren von New York bis San Francisco, von Tanger bis Paris um diese Männer, diese Säufer, diese Junkies, diese genialen Clochards, diese Dichter des krassen, schnellen Lebens scharten?
Vielleicht weil man sie gerade ein bisschen vergisst, ja, vielleicht, weil ihre Art zu leben gerade, sagen wir, nicht „au goût du jour“ ist. Vor allem aber weil die „Beatniks“ bei fast jedem etwas evozieren, allerdings könnten nur die wenigsten genau sagen, was dieses „Etwas“ eigentlich genau ist.
In Paris haben Philippe-Alain Michaud, der „französische Beatnik“ Jean Jacques Lebel und die Getty-Kuratorin Rani Singh deshalb beschlossen, der Bewegung eine große Ausstellung zu widmen, die nicht einfach nur die Geschichte dieser jungen Männer, ihrer Exzesse und ihrer freundschaftlich-amourösen Verbindungen nacherzählt, sondern sich einen ganz präzisen, der Hypothese nach alle Hauptprotagonisten verbindenden Aspekt herausgepickt hat: ihr Umgang mit den Mitteln der technischen Reproduzierbarkeit, der Schreibmaschine, dem Fotoapparat, dem Film, dem Tonband.
„Sie haben eine neue Art des Schreibens erfunden, die eng mit diesen neuen Techniken, der Möglichkeit der Collage und der Reproduktion verbunden ist“, versichert Michaud und weist auf die im Zentrum des Hauptraumes ausgestellte Originalfassung von „On the road“ hin: Eine 36,50 Meter lange Schriftrolle aus zusammengeklebtem Butterbrotpapier.
„Beat Generation“ läuft bis zum 3. Oktober im Centre Pompidou in Paris. Der Katalog kostet 44,90 Euro
Ohne Punkt und ohne Komma
Wie ein Wahnsinniger tippte Kerouac sein Meisterwerk im April 1951 der Legende nach in nur drei Wochen nieder – ohne Punkt, ohne Komma, in einem Zug durch, so als wolle er seine Reise mit Neal Cassady, seinen Trip quer durch die USA, nicht nur nacherzählen, sondern beim Schreiben noch einmal erleben. Das Skript liegt in der Ausstellung wie eine Autobahn, darüber hängende Videoausschnitte der amerikanischen Landschaft der Fünfziger kreieren die Illusion einer rasanten Fahrt.
Es sollte ein Rausch sein, für Schreiber und Leser, so wie fast alles, was die Beatniks betrifft mit der Idee des Rauschs, des Tempos, des Rasens, einer absoluten Unmittelbarkeit, des Ungekünstelten verbunden wird. Bei seinem Verleger hatte Kerouac mit diesem Ansatz erst einmal wenig Erfolg. Das Manuskript müsse in Seiten geteilt und redigiert werden, hatte Robert Giroux damals gemeint, und sich einen Wutanfall des sturzbetrunkenen Schriftstellers eingefangen („Niemals schreibe ich um! Niemals!“).
Der damals neunundzwanzigjährige Kerouac packte seine Rolle einfach wieder ein und veröffentlichte sie erst sechs Jahre später, dann doch in überarbeiteter Version bei Viking Press. So beeindruckend ein Original, besonders dieses, auch ist, diese doch irgendwie, spätestens seit der Veröffentlichung des Erstmanuskripts vor ein paar Jahren, bekannte Geschichte, ist der weniger spannende Aspekt des Ganzen.
Interessanter ist eine spätere Anekdote zur Erfindung des sogenannten „Cut-up“, einer Technik, in der vor allem William S. Bourroughs glänzte: Es war im September 1959, Bourroughs kehrte gerade von einem wie immer langweiligen Interview mit dem Life Magazin in das Pariser „Beat Hotel“, der französischen Dependance der Gruppe, zurück und fand seinen Freund, den Dichter Brion Gysin in einem Haufen von Papierschnipseln wieder.
Er habe eine wunderbare Entdeckung gemacht verkündete dieser und erklärte Bill das Prinzip: Du nimmst einen Text, schneidest ihn auseinander und verbindest die Elemente neu. Das „Cut-up“ war erfunden und bildete nicht nur die Basis für die wilde Struktur von Bourroughs „Naked Lunch“, sondern auch für die folgenden zehn Jahre seines Schaffens.
Eine an Bildern, Sound und Texten übervolle Ausstellung
Michaud weiß viele solcher Geschichten zu erzählen, sie liegen in allen Ecken dieser an Bildern, Sound, Texten übervollen Ausstellung, und es würde Stunden, vielleicht Tage brauchen, um alles zu sehen, alles zu verarbeiten, was diese jungen Männer in den dreißig Jahren, die die hier ausgestellten Stücke umfassen, produziert, gedacht und erlebt haben.
Nun mag dies alles für die weniger beataffinen unter uns sehr komplex erscheinen, doch seien sie beruhigt: Dem ist nicht so. Selbst Einsteiger werden den Geist des Beat, dieser Hipster vor ihrer Zeit (damals bedeutete das allerdings nicht „Konformist“ sondern „Nonkonformist“), ein Stückchen näher kommen.
Zum Beispiel durch die Fotografien der Dichterlegende Allen Ginsberg. Ginsberg, der fraglos Sympathischste dieser Gruppe von Machos, Ginsberg, dessen Karriere 1955 schlagartig mit seiner Lesung des Gedichts „Howl“ („I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the negro streets at dawn looking for an angry fix, angelheaded hipsters burning for the ancient heavenly connection to the starry dynamo in the machinery of night“) begann, zeigt in seinen handschriftlich annotierten Schwarz-Weiß-Bildern das Leben der Gruppe, ihre Reisen, ihre Lieben, ihre immer dem Abgrund nahen Freuden: Neal Cassady und sein „current girl“ im New York der fünfziger Jahre; William S. Bourroughs und Peter Orlovsky beim Mittagessen in Tanger; Bourroughs und Kerouac bei einem „mortal fight“ in Tanger; Bourroughs, steif wie immer, im Natural History Museum in New York; Peter Orlovsky rauchend in Indien.
Statt einfach nur effekthascherisch von Sex, Drugs, Jazz, dem immer drohenden Wahnsinn und dem Tod zu erzählen, taucht die Pariser Darstellung der „Beat Generation“ in ein Lebensgefühl ein.
Kontrast zum heutige Frankreich
Der Kontrast zu dem des heutigen Frankreich, des heutigen Europa könnte kaum krasser sein: Wo diese Generation versuchte aufzubrechen, das Tempo zu erhöhen, das Chaos zu schüren, loszurasen, ohne zu wissen wohin, versuchen wir zusammenzuhalten, Slow-Life-Slow-Food-Slow-alles-Techniken zu entwickeln und in dieser auseinanderbrechenden Realität so etwas wie Stabilität zu finden.
Aber wer weiß, vielleicht wird diese Ausstellung den einen oder anderen inspirieren, ein bisschen mutiger und rastloser durch die Welt zu laufen. Die Frage des „Warum jetzt? Warum sie?“ wäre dann zumindest geklärt.
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