Bazillen hart im Nehmen: Darf’s ein bisschen MRSA sein?
Multiresistente Keime haben sich in den Krankenhäusern in Bremen und Niedersachsen verdoppelt.
Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen in Krankenhäusern in Bremen und Niedersachsen nehmen zu. Das ergibt eine Studie des Bremer Instituts für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung. Im Auftrag der Krankenkasse HKK werteten die Wissenschaftler Patientendaten von Versicherten der Jahre 2007 bis 2011 aus. Infektionen und das Auftreten von multiresistenten Erregern habe sich in diesem Zeitraum verdoppelt. Am stärksten angestiegen sind die Fälle von Infektionen mit ESBL-bildenden Erregern, also jenen Keimen, die auch 2011 zum Tod von mehreren Frühchen im Klinikum Bremen-Mitte führten.
Die ESBL-Erreger seien ein „Riesenproblem“, sagte der Leiter der Studie, Bernard Braun. Die Art der Keime ist dabei durchaus relevant: Anders als bei MRSA-Keimen, die auch von Tieren auf Menschen übertragbar sind, handelt es sich bei den ESBL-bildenden Erregern E.Coli und Klebsiellen bei Mensch und Tier um die gleichen Stämme, erklärt Jörg Herrmann, Leiter des Instituts für Krankenhaus-Hygiene in Oldenburg. Während MRSA vor allem durch Kontakt übertragen wird, verbreiten sich ESBL-Keime über Ausscheidungen. In jedem Fall hoch belastet seien die Regionen in Niedersachsen, in denen eine ausgiebige Massentierhaltung betrieben wird.
Die Zahl, die Herrmann nennt, könnten dramatischer nicht sein: Im Grunde sei jedes Fleischstück an der Theke mit antibiotikaresistenten Keimen besiedelt. 50 Prozent der Schweine trügen resistente Keime in sich und diese würden in der Fleischverarbeitung weiterverbreitet. Da helfe nur die gute alte Küchenhygiene, sagt Herrmann: „Gut durchbraten und Hände waschen.“
Bremen also ist wie immer von Niedersachsen umzingelt. In den Krankenhäusern der Gesundheit Nord (Geno) werden daher Tierärzte und Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, routinemäßig auf multiresistente Keime untersucht. In 90 Prozent der Fälle trügen diese Menschen multiresistente Erreger in sich, so Daniel Goerke, Sprecher der Geno. Ebenso gehörten ältere Menschen aus Pflegeeinrichtungen zur Risikogruppe. Auch in den Kliniken der Geno habe sich das Vorkommen resistenter Erreger verdoppelt.
Was also ist zu tun? Bei der Geno zumindest wurde, als Lehre aus dem Keimskandal, das Hygiene-Fachpersonal aufgestockt, Hygiene-Beauftragte auf den Stationen gesucht und zwei Krankenhaus-Hygieniker sind angestellt und weitere Stellen ausgeschrieben. Denn ab 2016 gilt per Richtlinie, dass auf 400 Krankenhausbetten ein Hygieniker angestellt sein muss. Bei den 2.900 Betten der Geno fehlen also noch fünf Hygiene-ÄrztInnen. Und die zu finden sei schwer, so Geno-Sprecher Goerke. Es gebe zu wenig.
Ohnehin gehe es nicht nur um eine technische Lösung, so der Sozialwissenschaftler Braun. Auch ein gesellschaftliches Umdenken sei nötig, bei Patienten, die bei jedem grippalen Infekt vom Arzt gleich Antibiotika verlangen, und auch bei Arbeitgebern, die den Druck erhöhen, die Krankheit so schnell wie möglich zu kurieren. Zum „Overkill“ an Antibiotika-Vergabe in der Landwirtschaft führt Braun als Gegenbeispiel eine Studie an, die unter 40 Betrieben mit alternativen Haltungsformen erhoben wurde und deren Ergebnis Ende 2012 im Bundesgesundheitsblatt zitiert wurde: Weder Tiere noch Menschen waren dabei mit MRSA-Keimen besiedelt.
Auch Manfred Kietzmann, Professor am Institut für Pharmakologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover, sieht das „sehr ernste Problem“, hält aber nichts von einer einseitigen Schuldzuweisung. Der Anspruch an die Landwirtschaft sei es, alles immer billig in höchster Qualität zu produzieren. „Mit dem Wirtschaftssystem, das wir haben, kann sich die Landwirtschaft dem nicht entziehen“, so Kietzmann. Es sei „eine Tretmühle“. Daran müsse gemeinsam gearbeitet werden.
Viel zu wenig allerdings würde in der Landwirtschaft die Umweltbelastung beachtet: Sowohl durch Antibiotika, die durch die Tiere ausgeschieden werden und in die Umwelt gelangten, als auch durch die ESBL-Keime, von denen in Untersuchungen nachgewiesen worden sei, dass sie durch die Lüftungssysteme von Ställen in deren Umgebung geblasen würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“