Bayern München vorm Rückrundenstart: Ein Kraft wird die neue Katze
Der FC Bayern wechselt den Torhüter: Nachwuchsmann Thomas Kraft ersetzt Jörg Butt. Von Kraft werden mehr als gute Reflexe erwartet. Er soll der elfte Feldspieler sein.
MÜNCHEN taz | Der Hammer kam, aber er kam mit Ansage. Mitten in seiner wohl letzten Saison als Fußballprofi, nur ein halbes Jahr nach dem Gewinn seiner ersten deutschen Meisterschaft, hat Jörg Butt den Platz an der Sonne verloren – so überraschend und abrupt, wie er ihn vor knapp zwei Jahren gewonnen hatte.
Damals warf ihn sein Trainer – ein gewisser Jürgen Klinsmann, die Älteren werden sich erinnern – für das anerkannte FC-Bayern-Talent Michael Rensing gegen Barcelona ins kalte Wasser. Nun vertrieb ihn sein Trainer – ein gewisser Louis van Gaal – für das anerkannte FC-Bayern-Talent Thomas Kraft. Schon vor der Saison habe er Butt signalisiert, dass es sein könne, dass Kraft die Nummer 1 werde, erklärte van Gaal nun.
Ein Wechsel auf die Zukunft: Butt ist 35, Kraft 22. Ein Wechsel, den sich van Gaal nicht leicht gemacht hat: "Es fiel mir sehr schwer, weil ich ein gutes Verhältnis zu Jörg Butt habe und er immer alles sehr gut gemacht hat. Aber ich bin der Trainer eines Vereins und muss an die Zukunft denken – und ich habe auch eine Verantwortung für Thomas Kraft." Der junge Mann habe sich "in den letzten Monaten in vielen Bereichen im Torwartspiel weiterentwickelt, und ich denke, dass wir mit Kraft im Tor weiter kommen".
Wichtigster Berater in dieser Personalie war Frans Hoek, ein alter Fahrensmann van Gaals, der im Sommer Walter Junghans als Torwarttrainer abgelöst hatte. "Hoek ist ein sehr wichtiger Mann", sagt van Gaal, "er ist ein Spezialist, deswegen habe ich ihn ja auch geholt. Er trainiert meine Philosophie."
Und die erläuterte Thomas Kraft schon vor der Saison: "Frans hat eine ganz andere Philosophie vom Torwartspiel als die meisten anderen Torwarttrainer. Für uns ist das eine große Umstellung. Er trainiert sehr spielnah, man muss selbst viel schießen. Ihm ist es wichtig, dass wir mit beiden Füßen stark sind und eine gute Übersicht haben. Frans verlangt, dass der Torwart der elfte Feldspieler ist."
Und Kraft kann das gut. Als der Bayern-Kader in der Saisonvorbereitung mal zu dünn war, half der Keeper in einem Testspiel als Innenverteidiger aus. Früher in der Jugend war er auch ein passabler Mittelstürmer.
Der Zeitpunkt des Wechsels ist natürlich riskant. Der FC Bayern hat viel vor in dieser Rückrunde. Die verkorkste Hinserie muss ausbügelt werden, in der Liga darf sich die Mannschaft keinen Fauxpas mehr erlauben, und international ist der nächste Gegner immerhin der amtierende Champions-League-Champion Inter Mailand.
Van Gaal sagt: "Entscheidend ist, wie er mit dem Druck umgehen kann. Und das sieht man nur, wenn er spielt. Wenn er das nicht schafft, wird Jörg Butt wieder Nummer 1. Aber das weiß man nicht nach nur einem Spiel." Genauso hat er es vor vielen Jahren bei Ajax mit damals 22-jährigen Edwin van der Sar gemacht hat und bei Barcelona mit dem jungen Victor Valdes, jeweils auf Empfehlung von Hoek. Einen solchen Trainer hätte Rensing vor ein paar Jahren sicher auch gern gehabt.
Viele glauben, dass Kraft es schaffen kann. Oliver Kahn meint, Kraft sei "vom Talent her sogar stärker, als es Michael Rensing damals war. Kraft hat etwas Katzenhaftes, erinnert mich von den Bewegungen an Sepp Maier." Auch Maier selbst, einst "die Katze von Anzing" genannt, lobt den Jungen: "Das ist eine Superentscheidung von van Gaal und zeigt, dass er auch von Torhütern Ahnung hat. Thomas schafft das ganz locker. Das haben wir schon gesehen, als Kraft mit 14 Jahren zu uns kam."
Sechseinhalb Jahre ist das her. Felix Magath ließ ihn 2006 erstmals bei den Profis mittrainieren. Seitdem hat der Westerwälder (Spitzname Protzi) 104 Spiele in der zweiten Mannschaft bestritten, eine Super-Cup-Partie, aber noch kein Bundesligaspiel. Sein Lebensmotto: ohne Fleiß kein Preis. Kraft verließ die Schule nach der mittleren Reife, ist schon seit Jahren verheiratet und nennt als Hobbys Billard und seine Hunde Dina und Blake.
Die Fans der Südkurve hat Kraft schon hinter sich. In der Halbzeit der letzten Heimpartie vor der Winterpause schrien die Hardcorefans: "Neuer, du Arschloch!" Außerdem entrollten sie ein Spruchband: "Mia brauchan koan Neuer Torwart! Mia ham scho Kraft!"
Der damit angesprochene Nationaltorhüter meinte zu den jüngsten Entwicklungen: "Das hat nichts mit meiner Zukunft zu tun." Sollte das Experiment Kraft gelingen, hat auch der FC Bayern womöglich nichts mit der Zukunft von Manuel Neuer zu tun. Sepp Maier jedenfalls findet: "Die Bayern können sich das Geld für andere Torhüter sparen."
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