: Bayerische Politfolklore
■ CSU legt sich mit Karlsruhe an – oder tut jedenfalls so
Schon wieder wütet die CSU gegen das Bundesverfassungsgericht. Warum nicht? Kritik an Verfassungsorganen ist schließlich erlaubt. Wenn der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Maier das Kruzifix-Urteil mit dem Abhängen von Kreuzen durch faschistische SA-Männer vergleicht, bitte schön, wenn er es denn so sieht.
Zu Unrecht moniert eine kritische Öffentlichkeit auch, wenn die in Karlsruhe unterlegene Partei Gesetzes- oder gar Verfassungsänderungen fordert. Wenn die roten Roben etwa für die Bestrafung von Sitzblockaden keine Rechtsgrundlage sehen, dann ist es legitim, wenn die parlamentarische Mehrheit eine solche schaffen will. Und wenn Karlsruhe im derzeitigen Asyl- Artikel noch genügend Substanz sieht, abschiebebedrohte Flüchtlinge aus Flugzeugen zu holen, dann liegt es nahe, daß Abgeordnete überlegen, ob das Grundrecht noch weiter demontiert werden muß. Derartige Positionen muß man jedoch inhaltlich kritisieren, der Vorwurf einer „Mißachtung des Verfassungsgerichts“ geht daneben.
Selbst wenn CSU-Politiker wie Theo Waigel oder der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Geis, eine Reform des Verfassungsgerichts fordern, sollte man nicht den Rechtsstaat bedroht sehen. Ist es nicht legitim, eine Folge von vermeintlichen Fehlentscheidungen zum Anlaß einer Änderung der Spielregeln zu nutzen? Ob das Verfassungsgericht eine Revisionsinstanz benötigt (welche?) oder in bestimmten Fällen mit Zweidrittelmehrheit abstimmen sollte, darüber kann man reden. Bedenklich wird es erst, wenn zur direkten Mißachtung von Verfassungsgerichts-Urteilen aufgerufen wird – weil man eben keine Mehrheit für eine Gesetzesänderung hat oder diese Änderung, wie bei Stoibers Ankündigung im Kruzifix-Streit, nichts an der Verfassungswidrigkeit ändern soll.
Und selbst hier muß in humanistischer Milde noch eine Ausnahme für die Christsozialen gemacht werden. Bayerischen Populisten wie Stoiber das Aufrufen zum „Widerstand“ zu verbieten ist so albern wie das gegen Autonome gerichtete Vermummungsverbot. Politfolklore sollte auch als solche behandelt werden. Ob Bayern tatsächlich per Gesetz die Konfrontation mit Karlsruhe sucht, das bleibt abzuwarten. Immerhin ist Rechtssicherheit ein Standortfaktor und Bayern nicht nur Agrarstaat, sondern auch ein Industriestandort von gewissem Rang. Ein verfassungskonformes Hintertürchen werden die CSU-Schlitzohren in ihrem Gesetz schon finden. Christian Rath
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