Baupläne für Altona verzögern sich: Neue Mitte in der Bahnschleife
Die Bahn verschiebt die Entscheidung über den Umzug des Bahnhofs Altona und blockiert damit die Pläne für die „Neue Mitte“. Erster Bauabschnitt kommt.
Die Planungen für das Wohnquartier „Neue Mitte Altona“ verschieben sich erneut – zumindest, was die große Variante mit 4.000 Wohnungen angeht. Die Bahn AG braucht noch bis Anfang 2014 Bedenkzeit, ob sie das 75 Hektar große Terrain zwischen Altona, Ottensen und Bahrenfeld räumt und den Kopfbahnhof Altona für Fernzüge an den Diebsteich verlegt – oder eben nicht. Das sagte Bahnchef Rüdiger Grube vor Wirtschaftsvertretern beim FDP-Hafenforum in Hamburg.
Bei den Stadtplanern löst die erneute Verschiebung der Entscheidung wenig Freude aus. Schon Anfang des Jahres hatte der damals noch amtierende Bezirksamtsleiter Jürgen Warmke-Rose darüber geschimpft, dass die Bahn nicht zu Potte komme: „Ich bin schon relativ erzürnt darüber, dass die Bahn im Sommer 2010 bei allen Beteiligten den Eindruck erweckt hat, dass der Umzug eine Selbstverständlichkeit sei.“
Ein von der Bild-Zeitung angekündigter „Krisengipfel“ zwischen Bürgermeister Olaf Scholz und Bahnchef Grube als Reaktion auf die neue Entwicklung entpuppte sich als Ente. „Wir haben Bild eine Mail geschickt, wo sich der Bürgermeister denn einfinden soll, aber keine Antwort bekommen“, sagte Senatssprecher Christoph Holstein sarkastisch der taz.
Grube begründet die abermalige Verschiebung der Entscheidung mit Finanzierungsproblemen. Ursprünglich habe die Bahn den Neubau am Diebsteich mit den Erlösen aus den Grundstücksverkäufen bezahlen wollen. Mittlerweile habe ein 13 Millionen Euro teures Gutachten ergeben, dass das Areal und das Gleisbett zwischen Harkort-, Barner- und Gaußstraße bis zur Kohlentwiete und Stresemannstraße derart kontaminiert ist, dass die Sanierung die Erlöse auffressen würde, sagte Grube. „Wir müssen ein neues Finanzierungsmodell finden.“
Die Linken-Bürgerschaftsfraktion vermutet hinter der neuerlichen Verschiebung eine Poker-Strategie der Bahn. Offensichtlich wolle das Staatsunternehmen der Stadt einen hohen Preis für die Aufgabe des Areals abringen, sagt die Abgeordnete Heike Sudmann. „Die Bahn hat das Grundstück einst kostenfrei von der Stadt überlassen bekommen – auch wenn das 100 Jahre her ist – und jetzt will sie die Stadt dafür richtig dick abkassieren.“
Der "preußische" Zweite Altonaer Bahnhof wurde 1898 eröffnet. Er war nötig geworden, weil die Kapazitäten des Ersten Bahnhofs im dänisch regierten Herzogtum Holstein am Platz der Republik durch die Altona-Kieler Eisenbahngesellschaft erschöpft waren und ein Neubau dort nicht sinnvoll erschien.
Im Kopfbahnhof Altona, im Umgangston auch oft Sackbahnhof genannt, vereinten sich mehrere Schienenstränge und er war durch einen Tunnel mit der wirtschaftlich wichtigen Schellfischbahn vom Altonaer Fischmarkt verbunden
Übertragen wurden die Länderbahnen nach dem Ersten Weltkrieg an das Deutsche Reich. 1924 gingen sie an die neu gegründete Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft.
Der historische Klinkerbau, der elf Gleise überspannte, wurde 1979 abgerissen und durch zweistöckige Betonbauten mit Geschäftsflächen ersetzt. Der Altonaer Bahnhof erhielt in diesem Zusammenhang eine unterirdische S-Bahn-Anbindung.
Mit täglich 100.000 Reisenden und S-Bahn-Anbindung gehört der Altonaer Bahnhof zu den Haltestellen der höchsten Bahnhofs-Kategorie der DB Station & Service.
Grube zeigte sich hingegen zuversichtlich, dass es bis zum Ende des Jahres eine Lösung geben werde. Denn auch die Bahn habe ein Interesse an der Verlegung. Der Sackbahnhof Altona sei nicht mehr zeitgemäß, wenn Hochgeschwindigkeitszüge mit 40 Stundenkilometern in den Bahnhof hineinkriechen und rückwärts wieder herausfahren müssten. An einer Endstation im Bereich Altona muss die Bahn allerdings festhalten, weil sich die ganze Infrastruktur wie die Ausbesserungswerke in Eidelstedt befindet.
Senatsvertreter bekräftigten am Freitagabend im Stadtentwicklungsausschuss der Bürgerschaft, am ersten Bauabschnitt für die Neue Mitte Altona werde festgehalten – unabhängig davon, wie die Bahn entscheide. Nach den Plänen sollen an der Harkortstraße rund 1.600 Wohnungen entstehen, für die der Projektentwickler ECE den Zuschlag bekommen hat. Neben ECE will auch Hochtief über seine Tochter, die Eschborner Immobilienentwicklungs-Firma „Aurelis“, hier bauen. Das setzt aber voraus, dass der Fernbahnhof wie geplant an den Diebsteich verlagert wird.
„Die Probleme werden heruntergespielt“, sagte Sudmann im Anschluss an die Ausschusssitzung. Eine von ihr gestellte Große Anfrage hatte ergeben, dass die Stadt die Bahn nicht zwingen kann, den maroden Bahnviadukt zwischen Altona und Holstenstraße zu sanieren oder durch einen Neubau zu ersetzen, falls die große Variante mit der Verlegung des Bahnhofs scheitert.
„Bei jeder Zugdurchfahrt entsteht kreischender Lärm, für die BewohnerInnen der Neubauten eine unerträgliche Belastung“, sagt Sudmann. Sie wundert sich auch, dass Bausenatorin Jutta Blankau (SPD) die Investoren nicht unter Druck setze, die Planungen endlich voranzutreiben, was vertraglich möglich wäre. Sudmann: „Darauf gibt es keine Antworten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden