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BaumLitfaßsäule, Hundescheißplatz, Parkplatz

■ Das „Industrieprodukt Straßenbegleitgrün“ wird nicht mehr als Lebewesen begriffen

GESPRÄCH MIT EINEM BAUMSCHÜTZER

Klaus Piela (55) ist Mitglied der Berliner Baumschutzgemeinschaft und setzt sich seit mehr als zwanzig Jahren für Bäume ein. In einem Gespräch erläuterte er der taz seine Gedanken zur (verlorengegangenen) Beziehung zwischen Baum und Mensch:

Ich glaube, daß die Beziehung zu Bäumen, die ich als Sinnbild der Beständigkeit und eines langen Lebens bezeichnen möchte, daß die abhanden gekommen ist in einer Stadt, in der man zunehmend entfremdet wurde von natürlichen Lebensräumen. Allein der Ausdruck „Straßenbegleitgrün“ für Bäume zeigt, daß hier keine Beziehung vorhanden sein kann.

Piela sieht die kranken Bäume nicht isoliert; Parallelen zwischen Mensch und Baum ergeben sich für ihn als Folge der Industriegesellschaft.

Bei mir drängen sich Parallelen auf zwischen der Eingeengtheit des Menschen, was seine Entfaltung angeht, und der Eingeengtheit des Baumes im Stadtraum. Extrem wird das deutlich, wenn ich mir Straßenbäume ansehe. Die Straßenbäume sind verkehrsgerecht gepflanzt, beschnitten und gezogen, schon von der Baumschule her. Und wir als Menschen haben uns ebenso verkehrsgerecht zu verhalten. Der Baum hat sich der Motorisierung, dem technischen Ablauf in der Stadt anzupassen. Kann er es, darf er bleiben, wenn er nicht aus irgendwelchen Gründen stört. Aber er darf sich nicht mehr entfalten und wachsen, wie es seiner Arteigenheit entspricht. Er ist an und für sich eine Karikatur dessen was ein Baum sein kann. Und sind wir nicht also auch genauso reglementiert, beschnitten, amputiert in unserer Individualität? Die Wurzeln unseres Seins sind reduziert und reglementiert auf das, was unsere Gesellschaft uns vorgibt. Wer da nicht mithalten kann oder auch Phasen der Schwäche zeigt, der kann hier nicht bestehen. Und der Baum hat das alles ebenfalls so zu ertragen. Und wenn er es nicht schafft, wird er ausgewechselt.

Die Waldschäden sind für ihn nicht nur Folge der Umweltverschmutzung, sondern auch Ergebnis der vermeintlich profitableren Monokulturen.

Die Förster in unserem Land haben spätestens seit Friedrich II. für sich entdeckt, daß es schnellwachsende Bäume gibt, und dann wurden diese Strafkolonien von Bäumen in den Wäldern angelegt. Nachdem das zu Anfang sehr erfolgreich war, was den Ertrag anging, hat es sich heute in das Gegenteil verkehrt. Monotonie statt Vielfalt; die Natur kennt überhaupt keine Monotonie. Sie kennt nur Vielfalt. Wenn der Mensch Verletzungen hat und die nicht heilen wollen, oder er ist geschwächt in seinem Organismus, dann wird er angegriffen von Bakterien und Pilzen. Bei diesen verschnittenen und amputierten Bäumen ist das nicht anders. Die Vitalität, die den meisten der Stadtbewohner schon mangelt, und dieses Abgleiten in die Halbgesundheit, die gibt es auch bei den Bäumen, die an und für sich ja viel widerstandsfähiger sind und unsere Lebenserwartung spielend übertreffen.

Wenn es heute dem Baum so schlecht geht, dann stimmt nicht nur mit ihm etwas nicht. Denn wer solche große Wohlfahrtswirkung nicht mehr erkennt, wer den Baum als Litfaßsäule, als Hundescheißplatz, als Parkplatz benutzt, oder um sein Gerümpel abzuladen, mit dem stimmt etwas nicht mehr. Wenn es uns jedoch gelingt, den Baum wieder als ein Lebewesen zu begreifen, dann, glaube ich, wird es auch der Stadtnatur etwas besser gehen.

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