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Bauhäusler Ehrlich und das KZ BuchenwaldBeständiger Widerspruch

Die Ausstellung der Gedenkstätte Buchenwald "Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler in Widerstand und Konzentrationslager" entwickelt sich als eine offene Suchbewegung.

Das Eingangstor zum KZ Buchenwald steht als Original in der Ehrlich-Ausstellung. Bild: ap

Der Titel zur Ausstellung der Gedenkstätte Buchenwald wirbt mit grobem Understatement: "Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler in Widerstand und Konzentrationslager". Das klingt - nicht nur wegen der albernen Präposition - nach dem Abfallprodukt einer ordentlichen Magisterarbeit. Doch der biografische Titel ist tricky. Die Ausstellung im Neuen Museum der Klassik Stiftung Weimar mit seinen hohen, klassizistischen Räumen führt mit wenigen Spurenelementen in eine offene Suchbewegung, die mehr ist als die Behauptung einer integren Biografie.

Ihren Anfang nimmt sie mit dem Denkmal "Erinnerung an Buchenwald" von 1939: Auf einem Sockel in Augenhöhe steht das kleine Metallmodell eines filigran gestalteten Schafotts. Das Fallbeil im schlank aufragenden Rechtecks erinnert entfernt an die Figur eines Schmetterlings.

Als Franz Ehrlich es entwirft, ist er - 32-jährig - gerade aus seiner fünfjährigen Zuchthaus- und Buchenwald-Haft als politischer Sträfling entlassen und engagiert sich weiter im kommunistischen Widerstand: ein Maschinenbauschlosser und Ingenieur mit einschlägiger Weimarer KPD-Erfahrung in Leipzig, der in den späten 20er-Jahren Bauhaus-Schüler bei Albers, Moholy-Nagy, Klee, Kandinsky und Schlemmer war.

Er ist sozusagen das Bauhaus-Totalideal in einer Biografie auf den Punkt gebracht: "Ich wollte nicht Architekt, Formgestalter, Bildhauer, Maler oder Grafiker, sondern Bauhäusler werden, um am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitarbeiten zu können."

Doch so einfach macht es die Ausstellung dem Besucher nicht. Selbst die klare Formensprache des Solitärs am Anfang - der wahrscheinlich erste Entwurf für ein Denkmal zur Erinnerung an die Verfolgten des Nationalsozialismus - zitiert in seinem angedeuteten Funktionalismus zwar noch den Anspruch Guillotins auf einen schmerzlosen Tod; in seiner Bildassoziation von Tötungsmaschine und Schmetterling aber verweist er zugleich auf den formalen Überfluss seiner "entarteten" Freunde im französischen Surrealismus.

Auf ähnliche Weise reicht auch das malerische Werk aus Ehrlichs Zuchthauszeit (1934-1937) tief in die bildliche Traumrhetorik der Surrealisten: Es behauptet ein auch typografisch gestaltetes "Ich" (mit fürchterlichen Serifen!), das schwebend im freien Raum neben zahlreichen formalen Studien im Bauhausstil eine große Formenvielfalt beweist.

Im gleichen Ausstellungsraum finden sich dann Ehrlichs architektonische Entwürfe für die SS-Siedlungs- und Repräsentationsbauten nebst Möbeln und Kunsthandwerk: das architektonische Oeuvre eines Bauhäuslers, der erst als KZ-Häftling, dann als zwangsverpflichteter Zivilangestellter im Berliner SS-Hauptamt zwischen 1938 und 1943 den Nazistaat mit entwirft.

So wird die Geschichte des Mannes mit dem schönen Namen Franz Ehrlich, der nichts als "Bauhäusler werden" wollte, zur Biografie eines ständigen Widerspruchs - weit über die Nazizeit hinaus: Als SS-Angestellter im Widerstand, im Strafbataillon ab 1943 zugleich im Kontakt zu jugoslawischen Partisanen; in der DDR schon in der Formalismus-Debatte der frühen Fünfziger wieder ein Querkopf, den es in die berufliche Selbstständigkeit treibt und der doch, weil er sozialistische Wohnkonzepte auch künstlerisch zu formen verstand, gebraucht wurde.

Also wurde er als Freiberufler Architekt für das DDR-Innenministerium, baute zahlreiche DDR-Botschaften zwischen Paris und Moskau; war Hausarchitekt der VEB Deutsche Werkstätten in Hellerau - ein Funktionalist auf dem schmalen, aber möglichen Grat "zwischen Bauhausmoderne und Gestaltkonservatismus" (Dieter Hoffmann-Axthelm).

Es sind eher Schlagschatten, mit denen die Weimarer Ausstellung diese politisch-künstlerische Biografie im 20. Jahrhundert skizziert. Im Zentrum dieser Suchbewegung steht mit dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald erneut ein Solitär: Jenes Werk Franz Ehrlichs, in dessen Denkraum die Ausstellung ihren Ursprung hat.

Zum ersten Mal seit Fertigstellung des Lagertors 1938 wurde die Schlupftür mit der berüchtigten Inschrift "Jedem das Seine" für diese Ausstellung aus ihrem Buchenwaldkontext - KZ, Gedenkort, Museum, Friedhof - entfernt, um sie am Kunstort des Weimarer Museums neu zu verorten.

Die gewagte Dekontextualisierung sorgte vorab für einige Irritationen und gelingt verblüffend gut: In einem Gang mit Seitenlicht und viel Zwischenraum freigestellt, wird die KZ-Eingangtür zu weit mehr als einem Readymade. Vor allem Eingedenken offenbart sie ihren Kunstcharakter.

Hübsch proportioniert im angenäherten Goldenen Schnitt und mit ihrem ungewöhnlichen Dekor zwischen dem Rauten- und Textfeld war sie ein über Jahrzehnte unbemerkt gebliebenes Meisterwerk des Lagerhäftling und Bauhäuslers Franz Ehrlich, ein blinder Fleck im Gedenkdiskurs.

Zu einem riskanten Akt künstlerischer Selbstbehauptung - so die These des Kuratorenteams um den Buchenwald-Historiker Harry Stein - aber sei dieses Werk durch die typografische Gestaltung seiner Inschrift geworden: Die Buchstaben des "Jedem das Seine" hätten ohne Weiteres den Dessauer Bauhaus-Werkstätten von Joost Schmidt oder Herbert Bayer entstammen können - Ehrlichs Lehrern.

Mit hermeneutischer Insistenz dekonstruiert die Gedenkstätte auf diese Weise nicht nur ihr Lagertor, sondern auch ihren eigenen Gedenkdiskurs: Das Buchenwald-Lagertor als weltweit bekanntes Symbol für den SS-Zynismus wird durch seine Entstehungsgeschichte zugleich als ein heimlicher Widerstandsakt der Häftlinge enttarnt. Durch seine Museums-Verortung tritt es nun in seiner Ausstellung den polemischen Beweis an: Schaut her - nichts als Kunst!

Franz Ehrlich gereicht dies zur späten Ehre - gerade weil so manch einer seiner Lehrer sich den Nazis offenherzig andiente (Walter Gropius und vor allem Mies van der Rohe) oder gar, wie sein Typografielehrer Herbert Bayer, mit fliegenden Fahnen zu ihnen überlief.

Auf diese "Diktatur-Fähigkeit" des Bauhauses verweist Volkhard Knigge, der Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, in der Einleitung zum Katalog. Und er betont: Diese Suchbewegung nach Franz Ehrlich widerspreche ausdrücklich jener großen ästhetischen Erzählung vom Bauhaus, wie sie jetzt in den Jubiläums- und "Modell"-Ausstellungen des Bauhausjahrs 2009 zu erleben sei.

Eklektizismus

Die Biografie Franz Ehrlichs endet an dieser Stelle, bevor sie richtig begann. In einem schlüssigen Eklektizismus wird sie statt dessen durch 61 weitere Biogramme ergänzt: Kurzbiografien jener eher kleinen Minderheit von Bauhäuslern, die nach 1933 in den Widerstand gingen, verfolgt oder ermordet wurden. Die sorgfältige Ausstellung in der Ausstellung verfolgt noch einmal stringent die Opferperspektive der Gedenkstätte Buchenwald: Ein neues Bauhaus-Netzwerk deutet sich an, das weitere Suchbewegungen nach sich ziehen wird.

Gleichwohl aber scheint auch die Gedenkstätte mit dieser Ausstellung über "Franz Ehrlich. Bauhäusler in Widerstand und Konzentrationslager" vor einer kleinen Revision zu stehen. Über mehr als zehn Jahre setzte sie dem durch DDR- und Antifa-Geschichtsschreibung besetzten Widerstandsthema ihre Opferperspektive entgegen. Die Entdeckung am Lagertor könnte hier eine Diskursverschiebung bewirken - einen frischen Blick auf Formen der Verweigerung, der Selbstbehauptung und des Widerstands.

Mit einer letzten "Hommage" an Franz Ehrlich und sein architektonisches Meisterwerk aus der DDR-Zeit, das Berliner Rundfunkhaus in der Nalepastraße, bleibt sich die Ausstellung übrigens bis zum Schluss treu und zeigt noch einen weiteren, dritten Monolithen.

Die Videoinstallation "- 273,15 Grad Celsius = 0 Kelvin" von Maroan El Sani und Nina Fischer, die hier noch einmal zu sehen ist, fragt mit ihrer Geisterfahrt durch das Rundfunkhaus liebevoll nach der vergangenen Zukunft jenes barocken Funktionalisten, der an der Moderne und am realen Sozialismus wohl vor allem eines liebte: Überfluss für alle.

Bis zum 11. Oktober, Neues Museum, Weimar, Katalog 14,90 €

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