Basketball-EM: „In der NBA machen wir das nicht“
29 Punkte erzielt, eine „super Leistung“ erbracht und den Trainer kritisiert: Basketballer Dennis Schröder wird zum Führungsspieler.
Fleming, der als Spieler nie auf der ganz großen Bühne gestanden hat, im College bei der University von Richmond und in Deutschland in Quakenbrück, ist seit fast einem Jahr Basketball-Bundestrainer, und nach der Niederlage seines Teams im EM-Vorrundenspiel gegen Italien am Mittwochabend attestierte er seinem Aufbauspieler Dennis Schröder eine „super Leistung“.
Der Junge habe seine Sache hervorragend gemacht. 29 Punkte hatte Schröder in der Arena am Ostbahnhof erzielt. Trotzdem ging das Spiel in der Verlängerung verloren, mit 82:89. Flemings Team müsste am Donnerstag gegen Spanien (ARD, 17.30 Uhr) gewinnen, um sich noch für die Knock-out-Runde dieser Europameisterschaft zu qualifizieren.
Fleming sagte bei allem Lob aber auch, dass er es gerne gesehen hätte, wenn sein Team den Ball in der entscheidenden Phase mehr „bewegt“ hätte. Das kann man durchaus als Kritik an Dennis Schröder verstehen, dem Spieler, der mit gerade mal 21 Jahren in die Rolle des Teamleaders geschlüpft ist. Wenn die Pässe also hin und her geflogen wären, und der Gegner nicht mehr gewusst hätte, auf welche Weise die Deutschen den Korb attackieren, dann wäre vielleicht auch der so wichtige Sieg herausgesprungen, glaubte der Coach wohl.
Aber die Italiener wurden nicht wirklich überrascht von den deutschen Offensivspielern, denn fast immer konnten sie damit rechnen, dass Dennis Schröder auf den Korb losstürmt und versucht, den Ball in der Reuse zu versenken. Das hat verdammt oft geklappt. Schröder narrte seine Gegenspieler immer wieder mit seinem torpedoartigen Antritt und überraschenden Korblegern.
Kritik am Trainer
Doch Schröder, der nach zwei Jahren NBA bei den Atlanta Hawks ein etwas hypertrophes Selbstbewusstsein entwickelt hat und seinen Mitspielern in der DBB-Auswahl mit seiner Attitüde manchmal ziemlich auf den Geist geht, würzte seine überragende Punktausbeute eben auch mit sechs Ballverlusten und teilweise vogelwilden Pässen. Als es drauf ankam, verwarf er einen Freiwurf. Und nach dem Spiel beging Schröder ein Sakrileg: Er kritisierte den Trainer. Schröder findet, er sei schon in einer Position, in der er sich so etwas machen kann.
Trainer Fleming habe in der Schlussphase die falsche Entscheidung getroffen: Deutschland lag 24 Sekunden vor Schluss mit drei Punkten vorn, die Italiener hatten den Ball – und wurden von den Deutschen so lange gefoult, bis ein Italiener an die Freiwurflinie schritt. Flemings Kalkül: So können die Italiener nur zwei Punkte erzielen, das deutsche Team bleibt vorn und hat bei eigenem Ballbesitz noch einmal die Möglichkeit zu treffen.
Das ist so üblich im europäischen Basketball, aber nicht in der NBA. Dirk Nowitzki, der solide spielte und 14 Punkte erzielte, bestätigte das nach der Partie: „In der NBA machen wir das nicht, aber hier in Europa macht das jeder.“
„Wir hätten vielleicht unserer Defense vertrauen sollen. Die Entscheidung zu foulen, finde ich nicht smart. Ich habe dem Coach abgeraten“, sagte Schröder. Es ist vielleicht auch diese Unangepasstheit – manche meinen: seine grenzwertige Arroganz –, die Schröder so weit gebracht haben.
Er ist ja relativ spät in die Vereinsstrukturen des Basketballs eingestiegen, wurde in Braunschweig auf einem Freiplatz entdeckt und startete sehr schnell in der Bundesliga durch. Er zockt lieber, als dass er ein Spiel verwaltet. Er zieht lieber zum Korb, als dass er den x-ten Alibipass zum Nebenmann spielt. In Schröder brodelt immer noch das wilde Temperament eines Freiplatz-Spielers.
Eine extrem schwere Bürde
So einer lässt sich nicht immer domestizieren und einbinden in Strukturen, die von Basketball-Trainern so gern vorgegeben werden. Das Ungezügelte hilft Schröder sicherlich, in der NBA voranzukommen. Im europäischen Verbandsbasketball wird es da schon schwieriger, zumal Schröder in der NBA nur ein Ergänzungsspieler ist, in der Auswahl des deutschen Basketball-Bundes aber die ultimative Verantwortung übernehmen muss. Selbst ein Dirk Nowitzki, der sehr deutlich im Herbst seiner Karriere steht, hat Schröder die Rolle des Leader zuerkannt. Das ist eine extrem schwere Bürde, an der sich der 21-Jährige bisweilen verhebt.
Seine Defizite sind offenkundig. Er trifft zu schlecht von der Dreipunktlinie. In den NBA-Playoffs lag seine Trefferquote aus der Ferne bei 23,5 Prozent – wobei er nur etwa zwei Dreier pro Spiel überhaupt versuchte. Bei der Basketball-EM hat der 1,88 Meter große Schröder in vier Spielen 13 Dreier geworfen, aber nur drei rutschten durch den Korb. Das entspricht einer Quote von 23,1 Prozent. Das ist viel zu wenig.
In kniffligen Situationen verliert Schröder zu oft die Übersicht, trifft falsche Entscheidungen. In Internetforen wird ihm unterstellt, ihm fehle die Spielintelligenz, um ein ganz Großer zu werden. Auffällig ist auch, dass seine Quoten, verglichen mit der regulären NBA-Saison, in den Playoffs leicht gesunken sind.
Schröder mag auf dem Parkett vorangehen, außerhalb des Spielfeldes verheddert er sich noch zu oft in einem Geflecht aus übergroßen Ansprüchen an sich selbst, einer gewissen Hybris und Unerfahrenheit. Sein Berater Ademola Okulaja, den Schröder als „Vater und großen Bruder“ bezeichnet, ist gut damit beschäftigt, seinen Schützling auf dem Boden der Realität zu halten.
Zu viel des Guten
All das führt auch zu einer Disbalance im deutschen Team, wo sich die Frage auftut, wer denn nun das Sagen hat: Die älteren Spieler um Nowitzki und Heiko Schaffartzik oder der junge Überflieger Schröder? Nowitzki ist nach den Niederlagen gegen Italien, Serbien und die Türkei und dem teaminternen Hickhack mittlerweile so frustriert, dass er auch einen Spieler kritisiert, der gar nicht im deutschen Team steht: Daniel Theis.
Der Flügelspieler aus Bamberg hatte sich im Frühjahr an der Schulter operieren und für die EM entschuldigen lassen. Dass Theis jetzt aber in Vorbereitungsspielen für seinen fränkischen Klub aufläuft und nicht im Trikot der Nationalmannschaft, empfindet Nowitzki als „Frechheit“. Okulaja, der auch Theis vertritt, sagt nun seinerseits: „Es ist eine Frechheit, dass der Junge da hineingezogen wird.“
All diese größeren und kleineren Streitereien werden Schröder nicht aufhalten. Der Sohn eines Deutschen und einer gambischen Mutter weiß, was er will. Dennis Schröder möchte ein Star werden. Dirk Nowitzki ist mit Demut und konstant gutem Spiel in diese Rolle hineingewachsen, Schröder geht einen etwas anderen Weg.
Man kann über den Mann mit der blonden Strähne im krausen Haar sagen, was man will: Er hat stets riesengroße Fortschritte gemacht: Mit elf Jahren stand er noch auf einem Freiplatz im Braunschweiger Prinzenpark, mit 20 für die Atlanta Hawks in 82 Spielen 49-mal auf dem Parkett. In der letzten NBA-Saison machte er im Schnitt zehn Punkte. Und jetzt erwartet alle Welt, dass er den eher durchschnittlichen deutschen Basketball rettet. Das ist, zumindest im Jahr 2015, noch zu viel des Guten. Das weiß auch Coach Chris Fleming. Man muss noch etwas Geduld haben mit diesem Dennis Schröder.
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