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■ SchnittplatzBarschelexegese

Sterben kann man schließlich, wenn man tot ist. Und zwar so richtig schön: mysteriös, dramatisch, widernatürlich und immer wieder. Guter Tod will Weile haben. Uwe Barschels Heimgang wird diese Tage – ganz einfach, weil das nun auch schon wieder zehn Jahre her ist – episch „aufgerollt“. Und so wird gegenwärtig manch großes (Roloff!) und kleines (der ausgespülte Flachmann!) Mysterium kompostiert, wie ja zeitgleich auch der Auslöser der Spekulationen. Und muffig riecht beides. Große Aufsätze (und Serien!) erklären es in SZ, Spiegel, Stern noch einmal, für alle zum Mitsingen: So war das im Hotel, so und anders, kann also gar nicht, war also Mord. Vielleicht. Andererseits. Vorgeblich sensationelle Neuigkeiten, die jenem Aktenzeichen 705 Js 33247/87 zugeführt werden, sind wie ein neues Stones-Album: immer derselbe Quatsch und alle fallen drauf rein, und sei es mit ebendieser Feststellung, ich also auch. Die Tabletten, das Handtuch, die Badewanne, das „Treffen mit R.“, Stasi, Waffenhandel... Stern-Chefschnäuzer Werner Funk, dessen Blatt das hübsche Badewannenfoto damals druckte, spricht konsequent vom „vorerst letzten Barschel-Bericht“ und bereitet so das Feld für eine nimmerversiegende Detail-Exegese. Denn auch nach 20 Jahren wird ja wohl nichts dagegen sprechen, den „Beaujolais Le Chat Botté, 1985“ noch einmal einzuschenken und im Zimmer 317 (Beau Rivage, 3. Stock, Genf!) staubzusaugen. „IB 554“, Barschels Flugnummer von Las Palmas (ab: 10.30!) nach Genf (an: 15.15!) jedenfalls sollte man schon draufhaben. Das zerbrochene (aber ausgespülte!) Glas und die (seit 10 Jahren!) unauffindbaren Arzneiverpackungen sind Standard, und bald kann man eine „Trivial Pursuit“-Sonderedition herausgeben. Und in zehn Jahren allerspätestens wird auch Fräulein Dianas Tod vor solch gut ausgeleuchtetem Hintergrund erstrahlen, samt offener Fragen: Hat Dodi mit Landminen gehandelt, warum hat der Fahrer Schnaps getrunken, wohlwissend, daß da Alkohol drin ist, wo war eigentlich Camilla Parker Bowles, als Roloff mit dem Fiat den Unfall provozierte? Marktlücke? Funk-Loch? Wohlan, Werner! Benjamin v. Stuckrad-Barre

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