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■ Das PortraitBarry Graves

„... der Tod ist dein Disco- Flirt, dein Sparringspartner beim Bodybuilding, deine Ballerina beim Pas de deux. Einfach so, mitten in der Vitalität, Kreativität und Lebenslust – schnell, gemein und qualvoll. Es ist schon ganz schön entsetzlich, das mit ansehen zu müssen.“

Aktueller denn je erscheinen die Worte, die Barry Graves beinahe auf den Tag genau vor elf Jahren Klaus Nomi hinterherschickte. Sie standen im Berliner tip, jenem Stadtmagazin, das auch draußen in der Provinz erhältlich war und uns ein wenig teilhaben ließ am Kulturleben der Metropole. Barry Graves war einer ihrer besten Kenner. Über türkische Breakdancer hat er geschrieben, über „androgyne Strömungen in der Populärkultur“, über Donald Duck, Steven Spielberg, die internationale Renaissance des Musicals, den Cotton Club in New York. Berlin war für ihn „die 24-Stunden-Stadt“. So lautete der Titel eines Dokumentarfilms, in dem Graves die „Underground- und Ausflipp-Perspektive“ der seinerzeit noch ummauerten Stadt erfassen wollte, und mit dem er 1985 im Programm der Berliner Filmfestspiele vertreten war. Jungenhaft und eher ein wenig verlegen stand er damals auf der Bühne und begrüßte das Publikum.

„The Beat Goes On“ Foto: Ullstein-Bilderdienst

Barry Graves wurde in Whites Plaines/New York geboren. Das Berlinale-Programm verzeichnet 1946 als Geburtsjahr; andere Quellen nennen 1942. In Berlin studierte Graves Soziologie und Volkswirtschaft und arbeitete ab 1969 als Autor und Produzent für Rias. Dem Rundfunk blieb er über die Jahre treu; er moderierte für den WDR, den SFB und die ORB-Jugendwelle „Fritz!“. Seine Artikel erschienen unter anderem in der Zeit, im Stern und im Spiegel.

Als Buchautor veröffentlichte er eine Biographie über Elvis Presley. Echte Pionierarbeit leistete er mit dem gemeinsam mit Siegfried Schmidt-Joos verfaßten „Rock-Lexikon“, das ihn weithin bekannt machte. Das erstmals 1973 publizierte und 1990 neu aufgelegte Buch ist noch heute ein unentbehrliches Standardwerk, das Graves offenbar sehr am Herzen lag – auf kritische Rezensionen reagierte er mit Leserbriefen, selbst wenn es sich um unbedeutende Provinzgazetten handelte.

Mit den Worten „The Beat Goes On“ schließt Siegfried Schmidt-Joos die Einleitung des Lexikons. Trefflicher läßt sich ein Nachruf auf Barry Graves kaum beenden – er starb am Donnerstag vergangener Woche in Berlin. Harald Keller

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