: Barrikaden im Ruhrrevier
■ Stahlaktionstag: Streikende Arbeiter legten im gesamten Ruhrpott den Verkehr lahm / Blockaden auf der Autobahn, Rheinbrücken gesperrt, Schulen dicht / Kundgebungen in den Städten / Auch 100.000 Bergleute im Warnstreik / Solidarität von Siegen bis Krefeld
Von der Ruhr C. Krawaters
Alle Räder standen still: Der Verkehr lag lahm im Ruhrrevier, frierende Arbeiter füllten die Straßen, gestern war Stahlaktionstag im Kohlenpott. Die Rheinhausener Krupparbeiter hatten schon in den frühen Morgenstunden alle Zufahrtswege und Brücken zu ihrem Stadtteil besetzt, in allen anderen Städten des Reviers - bis hin nach Krefeld und Siegen - reagierten dann die Metaller solidarisch. Im Laufe des Tages schlossen sich auch verschiedene andere Gewerkschaften und Betriebe den Blockadeaktionen an. In der Duisburger City herrschte „Feiertagsruhe wie zu Weihnachten“, so beschrieb Friedrich Hofmann von der IG Metall Duisburg die Situation am Rhein. Die Kaufhäuser blieben bis elf Uhr geschlossen. Die Schulkinder hatten frei. Der öffentliche Nahverkehr in der gesamten Stadt lag brach, nachdem Arbeiter von Thyssen, von den Mannesmann Röhrenwerken und den Kruppwerken 20 Kreuzungen und verschiedene Autobahnzubringer blockiert hatten. Die Polizei versuchte dem Duisburger Chaos mit großräumigen Umleitungen und einem „Bürgertelefon“ zu begegnen. Trotzdem kamen die meisten Leute zu spät zur Arbeit. Oder auch überhaupt nicht. Die meisten der Wartenden signalisierten Verständnis für die Stahlwerker. Fortsetzung und Reportage auf Seite 2 In Dortmund schlossen sich die Arbeiter des Hoesch–Stahlwerks und der Müllabfuhr dem Solidaritätsausstand an. Am Vormittag blockierten sie mit Barrikaden die B1 und das Autobahnkreuz Kamen, der Hauptverkehrsknotenpunkt der Region. Auch in Hattingen ruhte der Nahverkehr, die Ruhrbrücken und die Straßen waren besetzt. Niemand kam mehr in die Stadt hinein oder aus ihr heraus. Vor der Henrichshütte der Thyssen AG, die wie die Hütte in Rheinhausen von der Stillegung bedroht ist, versammelten sich Tausende von Menschen zu einer Kundgebung. Auf dem Bochumer Rathausplatz fand die größte Kundgebung seit Jahren statt: 12.000 Menschen kamen zusammen. Angestellte der Stadtwerke und der Stadtverwaltung, die Künstler des Schauspielhauses und die Arbeiter verschiedener Metallbetriebe hatten die Arbeit niedergelegt. In den drei Opelwerken - mit 18.000 Beschäftigten größter Bochumer Betrieb - stand für acht Stunden alles still. Der Bochumer Oberbürgermeister Heinz Eickelbeck verlangte, daß „der kleine Stahlarbeiter, durch den der Aufstieg des Reviers nach dem Krieg erst möglich gemacht wurde, nicht zum armen Mann“ gemacht wird. Im Anschluß an die Kundgebung wurden auch in Bochum die Kreuzungen und die Verkehrswege rund um die Innenstadt „dichtgemacht“. NRW–Innenminister Schnoor sah sich sein Revier vom Flugzeug aus an - und zeigte sich nach dem Rundflug „beeindruckt von Umfang und Augenmaß der Aktion“. Nach dem Unterschied zu Straßensperren in der Hamburger Hafenstraße oder den Blockaden am Raketendepot Mutlangen gefragt, antwortete Schnoor im Westdeutschen Rundfunk ausweichend: Es gebe ein „grundgesetzlich verbürgtes Recht auf Arbeitskampf“. Parallel zu den Protestaktionen der Stahlarbeiter begingen 100.000 Bergleute von 32 Schachtanlagen einen mehrstündigen Warnstreik und blockierten Autobahnzubringer in Bottrop und Gladbeck. Im zechenlosen Dortmund demonstrierten Mitarbeiter der Bergbau AG vor ihrer Betriebszentrale.
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