: Bargeldsperre für Argentinier
Präsident de la Rúa will die Kapitalflucht aus den Banken eindämmen und Spekulationen auf Zahlungsunfähigkeit des Landes erschweren. In den nächsten 90 Tagen dürfen Sparer nicht mehr als 250 Dollar pro Woche in bar von ihren Konten abheben
aus Santiago TONI KEPPELER
Der argentinische Präsident Fernando de la Rúa greift nach den letzten Strohhalmen, um sich selbst und die Wirtschaft seines Landes zu retten. Erst kündigte er den größten Schuldentausch der Geschichte an. Jetzt friert er per Dekret die Sparkonten seiner Landsleute ein. Sie dürfen in den nächsten 90 Tagen nicht mehr als 250 Dollar oder Peso pro Woche in bar abheben. Damit will de la Rúa verhindern, dass sich die verunsicherten Bürger ihr Erspartes auszahlen lassen – und damit die Banken zum Zusammenbruch bringen.
Mitte November hatte der Präsident damit begonnen, den größten Teil der 132 Milliarden Dollar Staatsschulden umzuschichten: Hochverzinsliche Schuldenpapiere sollen gegen Niedrigzinser getauscht werden. Der Staatshaushalt soll damit um mindestens vier Milliarden Dollar jährlich entlastet werden. Zusammen mit einem harten Sparprogramm könne so verhindert werden, dass Argentinien zahlungsunfähig wird, behauptet de la Rúa.
Die argentinische Bevölkerung glaubt das nicht. Die Steuereinnahmen sind in drei Jahren Rezession stetig gesunken, und sie sinken weiter. Schon jetzt ist absehbar, dass das Land neue Kredite für den Schuldendienst braucht – Geld, das niemand mehr geben will.
Die zunehmend panischen Sparer versuchen, für sich zu retten, was zu retten ist. Seit Anfang Oktober hatten sie bereits gut fünf Milliarden Dollar von ihren Konten abgehoben. Allein am vergangenen Freitag lösten sie noch einmal Guthaben in Höhe von rund einer Milliarde auf. Der Liquiditätsmangel trieb die Banken an den Rand des Kollapses. Im Geldhandel wurden Sätze von bis zu 700 Prozent genannt. De la Rúa trat auf die Notbremse.
Am Samstag verkündete Finanzminister Domingo Cavallo die Beschränkung bei den Barabhebungen. Was über 250 Dollar pro Woche oder 1.000 Dollar pro Monat hinausgeht, muss per Scheck oder Kreditkarte bezahlt werden. Die gleiche Beschränkung gilt bei Auslandsreisen. De la Rúa und Cavallo setzen große Hoffnung in die Teilsperrung der Konten. Sie glauben, dass sie auf diese Weise die Liquidität des Bankensystems sichern und es Spekulanten schwer machen können, die auf eine weitere Abwertung des Peso oder die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens setzen.
Beim Kauf mit Kreditkarten können sich Konsumenten einen Teil der Mehrwertsteuer erstatten lassen. Das hilft aber nur einem kleinen Teil der Bevölkerung: Weil die Banken horrende Gebühren für das Plastikgeld verlangen, kommen nur die Reichen in den Genuss dieser Erleichterung. Die Mehrheit ist auf Schecks angewiesen, und deren Einsatz ist mit einer Sondersteuer belegt.
Die Gewerkschaften haben Widerstand gegen die Zwangsmaßnahme angekündigt. De la Rúas Rückhalt – laut jüngsten Umfragen stützen ihn noch neun Prozent – wird also weiter abbröckeln. Doch der Präsident tut so, als würde er gute Arbeit leisten: „Es wird keine Rücktritte geben“, sagte er am Samstag.
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