Barbara Dribbusch über GERÜCHTE: Nie wieder Fernsehturm
Nach 18 Jahren hat Kirstens Mann eine Geliebte, die er behalten will. Was tun? Leiden, fluchen oder flüchten?
Wenn es nicht Britts Geburtstag gewesen wäre, ich wäre nie mitgekommen. Fernsehturm Alexanderplatz. 207 Meter hoch. 40 Sekunden im Aufzug eingepfercht. Kein Fluchtweg. Und runter geht es auch nur im Lift.
„Sie hat sich immer zu viel von ihm gefallen lassen“, sagt Sybille und spießt eine Scheibe Lachs auf die Gabel, „dabei ist er so ein eitler Sack.“ Ich mümmele an meinem trockenen Brötchen. Mir ist von der Liftfahrt immer noch etwas übel. Und nun ist es auch noch unvermeidlich, dass wir an Britts Geburtstagsfrühstück im Restaurant hoch oben im Fernsehturm auf Kirsten und Gerhard zu sprechen kommen.
Nach 18 Jahren Langzeitbeziehung, aus der zwei Töchter hervorgingen, hat sich Kirstens Mann eine Geliebte genommen. Auf Dauer. Eine Untergebene aus seiner Firma. Die Gefühle hätten ihn einfach so übermannt, hat Gerhard gesagt. Nein, er wolle Kirsten, die Kinder und das schöne Haus nicht verlassen. Er wolle kein Schwein sein. Aber er könne die Frau nun mal nicht aufgeben, die Gefühle seien zu stark. Es gebe doch auch andere Männer, die eine Geliebte hätten. War das nicht früher sogar ganz üblich?
„Ich bin für die italienische Lösung“, höre ich Britt sagen, „Wutausbruch, fluchen, Koffer vor die Tür und raus mit dem Kerl.“ Ich nippe an meinem schwarzen Tee, kleine Schlucke sollen entspannen. Das Problem in diesem Restaurant ist der Fluchtweg. Ich habe zwar schon das grüne Schild entdeckt mit dem rennenden Männchen hinter dem Pfeil. Doch der Pfeil weist auf eine massive Stahltür, die so fest verschlossen aussieht wie ein Panzerschrank.
„Was heißt hier italienische Lösung?“, sagt Sybille, „Wenn Kirsten ihn rausschmeißt, bleibt sie allein mit den Kindern zurück. Mit 49. Da findest du nicht mal so schnell einen Neuen.“ „Genau diese Angst hat Gerhard ja einkalkuliert“, sagt Britt, „der hat sie richtig kleingekocht. Ganz verhärmt ist sie geworden.“ Der Fluchtweg hilft gar nichts. Selbst, wenn die Tür offen wäre, wie soll man herunterkommen ? Wahrscheinlich ist die Feuertreppe eine endlose Spirale aus Eisenstufen, die sich in dem Betonturm ohne Fenster 200 Meter in die Tiefe windet. Und dann ist die Tür unten vielleicht auch noch verschlossen.
„Gerhard nützt nur seine Optionen“, sagt Britt in ihrem Durchblickersound, „Beziehungen sind vielleicht nur ein Deal auf Zeit. Wenn man sich das von vornherein klar macht, ist die Enttäuschung hinterher nicht so groß.“ Mir wird schwindelig. Das liegt auch an der Besonderheit dieses Restaurants. Der äußere Ring, auf dem die Tische stehen, dreht sich. Dadurch soll man einen tollen Überblick über die Stadt bekommen, sozusagen 360 Grad Berlin. Ich fühle mich wie auf einer drehbaren Käseplatte.
„Kirsten hat jedenfalls ein schlechtes Geschäft gemacht“, meint Sybille, „die hat geschuftet wie ein Pferd, immer ihr eigenes Geld verdient und sich um die Kinder gekümmert.“ Kirsten ist nicht mit Gerhard verheiratet. „Sie hätte auf einer Ehe bestehen sollen“, fährt Sybille fort, „dann könnte sie ihn wenigstens ein bisschen abzocken. Aus Rache.“
„Abzocken“ – so hat Sybille früher nie geredet. Dialoge wie bei der Mafia. Aber wahrscheinlich ist das immer noch besser als die Moralnummer. Oder die Selbstauflösung: Kirsten hat eine Psychotherapie angefangen, um herauszufinden, was „ihr Anteil“ sei, dass die Beziehung mit Gerhard so gelaufen ist.
„Man muss jemanden lieben und die Beziehung trotzdem kühl kalkulieren können“, verkündet Britt, „früher waren Ehen doch auch Arrangements.“ Typisch Britt: Sie hat eine Vorliebe für unsympathische Theorien, an die auch sie nicht glauben will. Wir haben uns jetzt um 360 Grad gedreht. Tiergarten, Teufelsberg, Flughafen. Der tolle Ausblick ist mir wurscht.
Nach anderthalb Stunden geht es endlich abwärts. Im vollbesetzten Aufzug. „Die emotionale Abhängigkeit, die ist das Problem“, sagt Britt. „Ja“, murmele ich. 40 Sekunden. Die Lifttür öffnet sich. Aus manchen Fallen gibt es keinen Ausweg – außer der Zeit, die immer etwas verändert. Draußen scheint die Wintersonne. Nie mehr Fernsehturm. So viel Wahl muss sein.
Fragen zum Lift? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried hat guten ÖKOSEX
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