Bankencrash-Aufarbeitung in Island: Schwarzbuch erhellt Finanzdesaster
Eine schonungslose Aufarbeitung der milliardenteuren Bankenkrise beginnt in Island. Privatisierung der Institute und die Deregulierung der Branche gelten als Ursache.
STOCKHOLM taz | Anderthalb Jahre nach dem Banken- und Finanzcrash beginnt in Island dessen politische und juristische Aufarbeitung. Am Montag präsentierte eine vom Parlament eingesetzte Untersuchungskommission ihren Schlussbericht über die Hintergründe für den Kollaps des aufgeblähten Bankensystems und die dadurch ausgelöste schwere wirtschaftliche Krise des Landes.
Sieben der neun Bände des "Schwarzbuchs" beschäftigen sich mit der Vorgeschichte dieses Zusammenbruchs: der Privatisierung des vorher staatlichen Bankenwesens, der Deregulierung des Kapitalverkehrs und der mangelhaften Überwachung des Finanzsektors. Der Bankenaufsichtsbehörde Fjármálaeftirlitis und der Nationalbank wird angekreidet, ihren Überwachungsaufgaben angesichts der explosionsartig wachsenden Geschäfte der drei Privatbanken - von 2004 bis 2007 stiegen deren Aktiva von 100 auf 923 Prozent des isländischen Bruttosozialprodukts - nicht gewachsen gewesen zu sein.
Spätestens 2006 hätte man die Notbremse ziehen müssen. Denn bereits damals habe es unübersehbare Anzeichen für einen unvertretbar hohen Anteil fauler Kredite gegeben. Stattdessen sei weiter großzügig Geld verliehen worden: In den Jahren 2007 und 2008 ging ein Drittel aller einheimischen Kredite an Personen, die bereits ihre alten Schulden nicht mehr bedienen konnten.
Dem ehemaligen Ministerpräsidenten Geir H. Haarde, Finanzminister Árni M. Mathiesen und Wirtschaftsminister Björgvin G. Sigurdsson sowie Nationalbankchef Davís Oddsson und drei weiteren Überwachern des Finanzsektors wird persönlich vorgeworfen, ihre Aufgaben vernachlässigt zu haben. Statt die Banken zu bremsen, sei deren weitere Expansion unterstützt worden. Als die Krise ein Faktum war, habe man verspätet und "unsystematisch" reagiert und vor allem versucht, das Image der Banken im Ausland zu retten.
Das Schwarzbuch könnte persönliche juristische Konsequenzen für Minister oder Behördenchefs haben: Island hat ein Gesetz über Ministerverantwortung, das für den Fall eines Verstoßes gegen Amtspflichten Haftstrafen von bis zu zwei Jahren vorsieht.
Das jetzige Schwarzbuch beschäftigt sich allerdings nur mit der Verantwortung der Politik. Um die Banker und deren mögliche Verfehlungen kümmert sich eine spezielle Ermittlungsgruppe der Staatsanwaltschaft. Und ein erstes Schadensersatzverfahren gegen ehemalige Eigentümer und Manager startete in der vergangenen Woche. Eine der betroffenen Banken will rund 35 Millionen Euro aus windigen Kreditgeschäften an Eigentümer und deren Geschäftsfreunde wiederhaben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!