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Band „Früchte des Zorns“ geht auf TourReflektierte Nachdenklichkeit

Bedächtige Musik, unhippes Auftreten und komplexe Texte machen „Die Früchte des Zorns“ zu einem Zitatgeber von Linken und Linksradikalen.

Setzen mit ihrer Musik auf leisen Schmerz statt wütendes Gebrüll: Hannah, Mogli, Anke (v.l.n.r.) Foto: Katrin Krämer

Eigentlich sollen politische Parolen kurz und prägnant sein. „Keine Macht für niemand“, skandierten Ton Steine Scherben, „Deutschland muss sterben“ kam von Slime. Aber das hier? „Jeder Moment Leben, der dir aus der Gegenwart geklaut wird, ist einer, der verloren sein wird für immer“ stand ab 2007 über mehrere Häuserwände gesprüht an der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg. Später wurde es übermalt. Der Satz stammt aus dem Lied „Brennen“ der Berliner Band „Früchte des Zorns“.

Ja ich will leben – will nicht nur atmen / Nein ich will brennen, und es gibt nichts zu verlieren / Lieber drei Jahre Abenteuer / Als dreißig Jahre lang am Leben zu erfriern“ heißt es darin weiter. Der Song ruft nicht zu politischen Aktionen auf, sondern erzählt eine persönliche Geschichte. Er lädt ein zum Nachdenken und Mitfühlen. Und fragt danach, was wesentlich ist, im Leben: „Sechs Euro für eine Stunde auf der Arbeit – was würdest du zahlen für eine Stunde an einem sonnigen Tag im Park?“

Diese auf sich selbst bezogene Nachdenklichkeit unterscheidet die Früchte des Zorns von anderen politischen Bands oder Musiker_innen. In den 20ern rief Agitprop zur Revolution auf, in den 70ern prangerten Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader oder Konstantin Wecker mit Geschichten die Verhältnisse an. Der Punk der 80er brüllte für Veränderung. Die Früchte des Zorns dagegen thematisieren in ihren Texten Zweifel und Schwäche, sie formulieren Leid an herrschenden Verhältnissen und massive Kritik daran. Es gibt keine einfachen Parolen, sondern komplexe und selbstkritische Aussagen, die Widersprüche mitdenken.

Wer die Band nicht kennt, erwartet beim Namen „Früchte des Zorns“ vielleicht Lautes – Zorniges eben: Metal, Hardcore oder Punk, zumindest verzerrte Gitarren und Knüppel-Schlagzeug. Doch das Kreuzberger Trio spielt am liebsten unverstärkt, mit gedämpften Drums. „Es ist eine besondere Form der Intensität“, erklärt Hannah, die Drummerin. „Oft geht es heutzutage um Event und Spektakel, man braucht immer mehr Reize, um sich zu spüren. Wir fahren da etwas runter.“ Es sind Lieder, die sich leicht nachspielen lassen, am Lagerfeuer oder im WG-Wohnzimmer. Die Band fördert das: Auf ihrer Website veröffentlichen sie neben der Musik als MP3 auch Texte, Akkorde und Geigennoten.

Das Album

„Fallen oder fliegen“, April 2016, kein Label, Gratis-Download auf www.fruechtedeszorns.net

Kollektiv mit Do-It-Yourself-Prinzip

Das erreicht viele, die sich als irgendwie links oder linksradikal verorten – aber auch vermeintlich unpolitische Menschen: all jene, die Zweifel an dieser Gesellschaft haben und sich darin nicht immer zu Hause fühlen. „Wir wollen uns nicht mit den Verhältnissen arrangieren. Wir wollen das Schöne und Lebendige, jetzt, sofort und ohne Kompromisse“, schreibt die Band auf ihrer Website. Ihre Konzerte sind regelmäßig ausverkauft, das Trio inspiriert andere Musiker_innen, zum Beispiel Feine Sahne Fischfilet, die mittlerweile auf großen Festivals spielen und oft eine Coverversion von „Brennen“ im Programm haben.

Im April haben die Früchte des Zorns ihr fünftes Album „fallen oder fliegen“ herausgebracht: Elf Songs mit Titeln wie „Steckt euch gegenseitig an“, „Mein Manifest“ und „Du bist größer als du bist“.

Zum Interview lädt die Band in eine Privatwohnung in Kreuzberg: Seitenflügel, 4. Stock, Einraumwohnung, Dusche in der Küche, Klo auf halber Treppe. Im Flur ein Rennrad, durchs Fenster lärmen Vögel. Die Wand ist gold gestrichen, im Regal Schallplatten, ein Zylinder, eine Federboa, ein Grammofon. Sänger und Gitarrist Mogli reicht Leitungswasser und Tee, fläzt dann auf seinem durchgesessenen Chippendale-Sofa. Anke (Geige, Posane, Gesang) und Hannah (Drums, Gesang) sitzen auf dem Boden. Ihre Nachnamen wollen die drei nicht nennen.

„Als Band benutzen wir sie gar nicht, sondern nur unsere Vornamen“, sagt Mogli. Auf die Interview-Fragen antworten sie langsam und überlegt. Sie lassen sich gegenseitig ausreden, nicken meist zu den Sätzen der anderen. Sie haben schon viel gemeinsam erlebt, viel diskutiert, viel gestritten. Nicht nur, weil sie seit 18 Jahren zusammen Musik machen. Sondern auch, weil sie als Kollektiv organisiert sind und dem Do-it-yourself-Prinzip folgen: möglichst viel selbst machen, kein Label zwischenschalten. Das ist politisch gedacht: „Wir möchten so weit wie möglich vorleben, wie eine bessere Welt aussehen könnte“, sagt Anke.

Realpolitik reicht nicht

„Ich bin nicht linksradikal geworden, weil ich ein Flugblatt gelesen habe. Sondern weil ich Musik dazu gehört habe und mich darin wiedererkannte. Ich fühlte mich gesehen, angenommen und bestärkt“, erzählt Mogli. Alle drei bezeichnen sich als linksradikal und als Anar­chis­t_innen – obwohl sie identitäre Politik kritisch sehen. „Ich habe als Fokus ein herrschaftsfreies Leben, ein gutes Miteinander, ein solidarisches Leben“, fasst Hannah zusammen. Mogli zitiert Marx: „Es geht darum, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Dass das Utopien sind, ist ihnen bewusst, doch Kompromisse wollen sie keine machen. „Radikalität bedeutet auch, die Grenze des Möglichen auszuweiten, auszutesten. Sonst ist keine Entwicklung möglich“, sagt Anke. „Vermeintlich realistische, vermittelbare Politik geht mir nicht weit genug.“

Das Trio spielt bewusst an Orten, die sich als politisch verstehen, gern klein, damit sie das Publikum auch sehen können. Dabei schaffen sie mit ihrer Musik einen Raum in den Köpfen der Zuhörenden: für Utopien, für Wünsche, für Verletzlichkeit. Etwa im Song „Mein schönstes Kleid“ vom Album „Wie Antennen in den Himmel“ (2007), gesungen von Mogli, also mit einer deutlich tiefen, „männlichen“ Stimme: „Eines Tages werde ich aus dem Haus gehen / Und ich trage mein schönstes Kleid / Ich werde durch die Straßen streifen / Und ich lass mir dabei Zeit“. Mogli erzählt, wie er immer wieder bedroht und angemacht wird, weil er als bärtiger Mann manchmal gern ein Kleid anzieht. „Manchmal habe ich einfach nicht mehr den Mut, mich in der Öffentlichkeit so zu bewegen, wie ich mich wohl und schön fühle.“

Doch er tut es. Und er singt darüber. „Wer sich verletzlich macht, hat eine größere Chance, gesehen und wahrgenommen zu werden“, sagt Mogli. „Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen riskieren, sich verletzlicher zu machen.“ Das gilt für das Leben, aber auch die Songs der Früchte des Zorns, die Verletzlichkeit transportieren.

Kitschig, uncool – na und?

„In unserer Gesellschaft gibt es viel Platz für Fröhlichkeit, für Feiern, für leichte Emotionen“, sagt Mogli. „Aber für Schweres, für eigene Deformation, Unzulänglichkeit, Traurigkeit, da fehlt der Platz.“ In „Teil von mir“ auf dem aktuellen Album singt er: „Ich bin manchmal ohnmächtig und ausgeliefert (…) Dann verlier ich alles und ich will die ganze Zeit, dass jemand kommt und sagt / Alles ist in Ordnung / Meine Schmerzen, meine Ängste sind ein Teil von mir“.

Kitschig könnte man diese Lieder nennen, pathetisch, zu ernst, uncool. Kritik dieser Art juckt die Band nicht. „Unsere Botschaft ist, auch den Mut zu haben, nicht hip oder cool zu sein“, sagt Mogli. „Unsere Musik ist etwas Zerbrechliches, man macht sich verletzlich.“ Natürlich ist das nichts für die Beschallung einer Demo. „Es gehen ja auch nicht die Massen auf die Straße, um zu sagen: Schaut her, wie zerbrechlich wir sind!“, juxt Mogli. „Auf Demos muss die Musik nach vorne gehen, das tut unsere nicht“, sagt Hannah.

Die Lieder von Früchte des Zorns putschen nicht auf. Aber sie bauen auf. Und sind deshalb trotz der melancholischen Songs auch auf Demos präsent, etwa 2011 in Dresden bei einer gegen Polizeirazzien. Auf einem Transparent steht groß „Passt aufeinander auf!“, der Name eines Songs vom Album „Wie Antennen in den Himmel“ (2007). Können Früchte des Zorns also doch kurze Parolen? Ein bisschen. Und auch wieder nicht: Um die drei großen Worte stehen viele kleine: alle 12 Strophen des Liedes.

Wenn der Morgen dich mit Angst begrüßt / Und du weißt weder ein noch aus / Wenn die Unruhe dich nicht schlafen lässt / Passt aufeinander auf (…) Wenn die Steine sprechen, weil der Zorn groß ist / Und auf den Straßen hängt dichter Rauch / Verliert nicht den Kopf, bleibt zusammen / Passt aufeinander auf“.

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