Ballack wird Chelsea-Held: Die Ruhe im Sturm
Michael Ballack macht die englische Meisterschaft wieder spannend. Der Kapitän des deutschen Nationalteams erzielt beide Tore beim 2:1-Sieg des FC Chelsea gegen Manchester United.
LONDON taz Englische Fußballplätze lassen urwüchsigen Emotionen mehr Bewegungsfreiheit als die normale Welt - deswegen liebt sie ihn so, den englischen Fußball. Manchmal aber wird der Tumult so gewaltig, dass ihn die weißen Linien des Spielfelds nicht mehr eindämmen können, dann weitet sich die Kampfzone aus. Arsenals Spieler waren nach dem 1:2 im Old Trafford vor vier Jahren so außer sich, dass sie United-Trainer Sir Alex Ferguson mit Pizza und Erbsensuppe bewarfen.
Am Samstag waren die Red Devils die Unterlegenen beim FC Chelsea. 2:1 für die Londoner hieß es am Ende eines Spitzenduells, das einzigartig intensiv war. United, noch vor einer Woche der sichere Meister, büßte seinen Drei-Punkte-Vorsprung ein und führt nun nur noch dank der besseren Tordifferenz vor den Blauen.
Die Wut über diesen Rückschlag verwandelte die Könner in Rohlinge. Pizza oder Erbensuppe hatten sie nicht zur Hand, also schlug Rio Ferdinand mit Fäusten und Füßen gegen die Wände des Spielertunnels. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft erwischte dabei aus Versehen eine der Chelsea-Hostessen am Schienbein. Die Frau kam unverletzt davon. Ferdinand schickte später einen Blumenstrauß.
Und als Uniteds Reservisten eine kleine Trainingseinheit genau auf dem vom großen Kampf besonders ramponierten Teil des Platzes abhielten und sich wenig um die Wünsche von Chelseas Rasenpfleger scherten, kam es gar zu einer Massenkeilerei. Verteidiger Patrice Evra erlitt eine Platzwunde an der Stirn.
Eine gute Stunde später waren die Blutspuren im Kabinengang wieder beseitigt, nur ein kleiner Fetzen Grün lag noch als Souvenir des Wahnsinns am Boden. Genau über ihm stand Michael Ballack im weißen Trainingsanzug und hielt Hof. Die Journalisten feierten ihn nach seinen zwei Toren (45. und 86.) als Mann des Tages - und sie waren dankbar, dass sie keinen Hitzkopf vor sich hatten, sondern einen Strategen. "Ein Elfmeter. Ein Deutscher. Eine Formalität", dichtete die News of the World schwer beeindruckt von Ballacks Nervenstärke beim Strafstoß kurz vor Spielende; Uniteds Michael Carrick hatte den Ball unglücklich an die Hand bekommen.
"Ich bin solche Drucksituationen gewöhnt", sagte Ballack, "das war kein Problem für mich." Nicht einmal Kollege Didier Drogba, mit dem er dreimal um die Ausführung von Freistößen gezankt hatte, konnte ihn aus der Ruhe bringen. Als ihn jemand nach der sprichwörtlichen Sicherheit der Deutschen in dieser Disziplin fragte, machte er das Spiel mit dem Klischee mit: "Es wird schon etwas dran sein, das zeigt die Geschichte. Jeder hat seine Stärken und die müssen wir uns ja bewahren."
Unter der Woche war der Deutsche noch mit Trainer Avram Grant aneinander gerasselt: Der Israeli hatte in Vorbereitung auf das Champions-League-Halbfinalrückspiel gegen den FC Liverpool am Mittwoch Elfer auf den Trainingsplan geschrieben, Ballack abgewunken: "Das bedeutet nichts ohne Druck. Und ich weiß, was ich tun werde."
Geplant war auch die Aktion nach seinem ersten Tor, einem wuchtigen Kopfball in den Winkel. Die Mannschaft hielt ein Trikot hoch, das an die am Donnerstag verstorbene Mutter von Mitspieler Frank Lampard erinnerte."Der Sieg war für Frank und seine Familie", sagte Ballack.
Bestechend gut spielten die Hausherren an diesem schönen Frühlingstag, zum ersten Mal in dieser Saison. "Wir haben heute gezeigt, dass wir es nicht nur mit langen Bällen auf Drogba können", sagte Ballack zufrieden, "wir müssen das noch öfters zeigen." Der Ball blieb unten und fand ungewohnt oft die Mitspieler; United hatte drei defensive Mittelfeldspieler, aber kein wirksames Mittel gegen die Angriffe der Blauen.
Ferguson suchte die Schuld für die Niederlage in bewährter Manier beim Schiedsrichter, dem er zu Unrecht eine "diabolische Leistung" unterstellte. Doch der Schotte hatte mit einer an Arroganz grenzenden Aufstellung ohne die für die Champions League geschonten Cristiano Ronaldo, Paul Scholes und Carlos Tevez die Niederlage selbst eingeleitet.
Fergusons Team hat in der laufenden Spielzeit den schönsten, besten, taktisch feinsten und krisenfestesten Fußball des Landes gespielt. Niemand zweifelte an der Rechtmäßigkeit ihres Triumphs. Doch nun müssen sie den fast schon gewonnen Titel in den zwei verbleibenden Partien ein zweites Mal gewinnen.
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