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Bald Gen-Check am Arbeitsplatz

Vom Forschungsminister berufene Expertenkommission hält Analyse des Humangenoms für ethisch und rechtlich zulässig/ Verbot für eugenische Maßnahmen und Eingriff in menschliche Keimbahnen  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Im Detail wird es problematisch bei den Empfehlungen zu Gentechnik an die Bundesregierung: gesetzlich sichergestellt werden müsse, heißt es bzw., daß ein Stellenbewerber nicht verpflichtet ist, eine ihm bekannte genetische Veranlagung zu offenbaren oder sich genetisch untersuchen zu lassen.

Bei einer Verweigerung müsse er dann allerdings „die nach der Rechtsordnung zulässigen Konsequenzen tragen“, heißt es lapidar weiter. Klartext: dann bekommt er die Stelle nicht.

Gerade auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes wird deutlich, auf welch schwankendem Boden sich die vom Bundesforschungsministerium im September 1989 eingesetzte interdisziplinäre Arbeitsgruppe bewegt, die ihren Bericht gestern vorstellte. Die Gruppe, der neben einer Mehrheit von Wissenschaftlern und Gen- Befürwortern auch Vertreter von Kirchen und Gewerkschaften angehört, gibt ihr uneingeschränktes Ja zur Genforschung. Die vollständige Erforschung des menschlichen Genoms sei „ethisch vertretbar und rechtlich zulässig“, lautet die Gesamtbilanz.

Zwar werden auch Datenschutz und rechtliche Beschränkungen wie im Versicherungsrecht — eine Gen- Analyse dürfe nicht Vertragsvoraussetzung werden — gefordert, doch bleiben deutliche Lücken.

So wird beim Arbeitsschutz von „unabdingbar gebotenen Ausnahmen“ gesprochen, die von Beschäftigten erfordere, sich einer Genomanalyse zu stellen. Zum Schutz der Fahrgäste sei die Untersuchung von Piloten, Lokführern und Busfahrern auf eine mögliche genetische Veranlagung zu Geisteskrankheiten vertretbar. Das Interesse der beförderten Menschen sei hier höher anzusetzen als das Recht der Beschäftigten, nicht untersucht zu werden.

Die Arbeitsgruppe spricht sich zwar für den Vorrang beim Arbeitsschutz aus, bejaht aber, Mitarbeiter mittels gentechnischer Untersuchungen auf eine Krebsveranlagung zu überprüfen. Dies sei gerechtfertigt, wenn beispielsweise in der chemischen Industrie ein Umgang mit karzinogenen Stoffen nicht zu vermeiden sei. Entsprechend reagieren die Gewerkschafter mit strikter Ablehnung. Es werde versucht, den betrieblichen Gesundheitsschutz, der durch Arbeitsgestaltung sicherzustellen sei, nun „in einen Schutz vor vermeintlich anfällige Arbeitnehmer umzugestalten“, kritisierte die ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies.

In Übereinstimmung mit den Parteien des Bundestages stuft der Arbeitskreis den Eingriff in die menschliche Keimbahn als nicht vertretbar ein. Er distanziert sich auch von einer „instrumentellen Vernunft“, bei dem nur noch am Maßstab „genetischer Defekte“ diskutiert werde. Abgelehnt werden eugenische Maßnahmen, sofern sie auf die Verbesserung des Erbguts der gesamten Bevölkerung ziele. Dazu zählten auch „vorbeugende“ Reihenuntersuchungen, um kranke Kinder zu vermeiden. Gänzlich aber schließt die Arbeitsgruppe die pränatale Diagnostik nicht aus. Sie sei vielmehr nach „eingehender individueller Beratung vertretbar“. Daß hiermit dennoch indirekter gesellschaftlicher Druck auf die Frauen ausgeübt werde, „perfekte“ Kinder zu gebären, wie es die Grünen monieren, problematisert der Bericht nicht.

Der Arbeitskreis warnt davor, festgestellte genetische Dispositionen mit bestimmten Bevölkerungsgruppen zu verknüpfen und so Vorurteile zu schüren. Bekannt sind bereits Diskriminierungen bei Erkrankungen in den USA, die vornehmlich bei schwarzen Amerikanern auftreten oder in Zypern, wo die im Paß vermerkte seltene Bluterkrankung dazu führte, daß die Kirche die Trauung dieser Menschen verweigerte.

Die Bundesregierung fühle sich durch den Bericht bestätigt, vertrat der parlamentarische Staatssekretär im Forschungsministerium, Probst (CSU). Wie vorläufig selbst nachdrücklich vertretene Verbote sind, machte der CSU-Politiker deutlich. Auf ewig werde das Verbot des Keimbahn-Eingriffs nicht gelten. Probst: Wenn man erst weiter sei, etwa die Behandlung von Erbkrankheiten möglich werde, dann „wird auch die Debatte neu beginnen“.

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