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■ Bahnchef Hartmut Mehdorn möchte Zugreisen komfortabler machen, gleichzeitig wenig genutzte Verbindungen durch Busse ersetzen. Derweil weckt das Unglück von Brühl erneut Zweifel an der Sicherheit des SchienenverkehrsViel schöner, aber selten

Einige sehen einen durch Mehdorn ausgelösten Motivationsschub bei der Deutschen Bahn. Andere fürchten um ihren Job.

Es hätte so leicht sein können für Hartmut Mehdorn. Kaum hatte er seinen Job als neuer Bahnchef übernommen, war er auch schon das zeit- und nervenraubende Transrapidprojekt los. Er hätte den Kopf frei haben können für die Reform seines Unternehmens. Da kam die Nachricht vom Bahnunglück in Brühl – und die gute Nachricht vom begrabenen Magnetzug verblasste (siehe Seite 4).

Am Samstagabend war einvernehmlich das Aus für die Strecke Hamburg–Berlin gekommen, nach drei Stunden Gespräch zwischen Mehdorn, Verkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) und den beteiligten Industrieunternehmen (siehe Kasten). Zwar wird Mehdorn sich in den nächsten zwei Jahren immer noch mit dem Transrapid beschäftigen müssen, weil die Industrie alternative Strecken fordert. Aber es wird sicherlich mehr Zeit für seine anderen geplanten Reformschritte bleiben. Die braucht er auch dringend, denn die Pläne des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Airbus in Hamburg und der Heidelberger Druckmaschinen AG bergen ein großes Streitpotenzial für Eisenbahner und Umweltfreunde.

Schon vor seinem Amtsantritt Mitte Dezember hatte er den 240.000 Bahnbeschäftigten per E-Mail angekündigt, welche Faktoren er ins Zentrum seiner Unternehmenspolitik stellen will: das Interesse der Kunden und die Kapitalmarktfähigkeit. Die einen sehen einen durch Mehdorn ausgelösten Motivationsschub bei der Bahn, andere fürchten um ihren Job. Eine dritte Gruppe hält das, was sie bisher vom neuen Chef gehört hat, in weiten Teilen für eine Defensivstrategie: Was sich nicht rechnet, wird gestrichen – statt das Angebot attraktiver zu machen.

Die Perspektive des Konzerns ist düster: Der Umsatz stagniert bei 30 Milliarden Mark, während der geringe Gewinn in die Verlustzone abzusacken droht. Die Bahn verliert weiter Marktanteile gegenüber dem Auto, der Güterverkehr auf der Schiene geht zurück. Im Jahr 2002 läuft zudem die Altlastenerstattung aus, die der Bund bisher überwiesen hat; 1999 kamen dadurch immerhin 3 Milliarden Mark in die Bahnkasse. In der Bilanz wachsen die Abschreibungsbeträge für neue Wagen und Loks. Ohne Neuausrichtung steuert die AG auf ihre Überschuldung zu. Dennoch ist Mehdorn fest entschlossen, den Gewinn zu steigern und die Kosten zu drücken – er will die Bahn an die Börse bringen.

Der Ansatz, Kosten zu sparen, indem wenig genutzte Züge durch Busse ersetzt werden, ist umstritten. „Das bedeutet deutliche Komforteinbußen und wird nicht mehr, sondern weniger Kunden bringen“, prognostiziert Burkhard Reinartz vom Verkehrsclub Deutschland. Unterstützt wird diese These durch eine Passagierzählung: Obwohl das Fahrplanangebot der Gräfenbergbahn in Nürnberg während ihrer Sanierung nicht eingeschränkt wurde, nutzte nur die Hälfte der Fahrgäste den Schienenersatzverkehr auf der Straße. Als die Bahn wieder fuhr, kehrten die Kunden zurück.

Kritiker der Mehdorn-Pläne schlagen stattdessen vor, in nachfragearmen Zeiten statt 300 Tonnen schweren Doppelstockzügen leichte Triebwagen einzusetzen, die nur 40 Tonnen wiegen. Sie verbrauchen weniger Energie als Busse, und ihre höheren Investitionskosten amortisieren sich außerdem langfristig, weil sie länger halten als die Konkurrenz von der Straße. Gegen Mehdorns Buspläne spricht auch, dass die Länder für die Bestellung des Nahverkehrs zuständig sind – und mit denen hat die Bahn mehrjährige Verträge über Zugleistungen abgeschlossen. Das nordrhein-westfälische Regionalisierungsgesetz schreibt außerdem vor, dass das Geld vom Bund ausschließlich für die Bahn einzusetzen ist.

Mehdorns bekannt gewordener Plan, die bisher von Interregios abgefahrenen Strecken künftig mit Regionalbahnen zu bedienen, wird bei den Ländern ebenfalls auf Widerstand stoßen. In München hat die bayerische Landesregierung bereits signalisiert, dass sie keinen Pfennig mehr für die Bahn ausgeben wird. Müssen die Länder künftig den Ersatz für die Interregios bezahlen, werden sie auf Nebenstrecken weniger bestellen. Für Leute in ländlichen Gegenden ist dann möglicherweise der Zug bald ganz abgefahren, während Bahnkunden, die von einer Kleinstadt zu einer anderen unterwegs sind, häufiger umsteigen müssen. „Anstatt das Angebot einzuschränken, sollte man verstärkt auf die Benachteiligung der Bahn hinweisen“, rät Werner Schmidt, selbst Eisenbahner und Sprecher des grünen Landesarbeitskreises Verkehr in Bayern. Nirgendwo sonst in der EU zahle die Bahn den vollen Mehrwertsteuersatz.

Sein kundenfreundliches Konzept will Mehdorn durch größeren Komfort bei Reisen zwischen den Metropolen durchsetzen. Mehrere ICE-Verbindungen will er künftig im Halbstundentakt bedienen und so dem Flugverkehr Konkurrenz machen. Diese Perspektive ist kein Wunder: Der zuständige Vorstandsmann Christoph Franz war früher Lufthansa-Manager. Er soll sich künftig nicht nur um den Fern-, sondern um den gesamten Personenverkehr kümmern. Er wird nicht der Einzige sein, der mehr Arbeit bekommt: Zum Sparplan von Mehdron gehört auch die Senkung von Personalkosten, inklusive der Verkleinerung der aufgeblähten Chefetage. Am 1. März wird der Aufsichtsrat über die dann konkret vorliegenden Pläne Mehdorns abstimmen. Was sie davon halten, können ihm die Bahner vier Wochen später beim Bier erzählen: Einmal im Monat gibt es bei der DB Freibier, da plaudert Mehdorn in lockerer Atmosphäre mit den Kollegen. Annette Jensen

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