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Bahn frei für neue Wohnkultur in Echterdingen

■ Den Anrainern der geplanten Flughafenerweiterung in Stuttgart–Süd wird der Einbau von schalldichten Fenstern und Klimaanlagen empfohlen / Anhörung über das Prestigeobjekt fast beendet / Annäherung nicht in Sicht

Aus Stuttgart Dietrich Willier

„Wir leiden hier nicht unter der statistischen Lärmbelästigung, sondern unter dem täglichen Krach“, empört sich ein älterer Bürger. Anlaß: die Anhörung im Planfeststellungsverfahren um den Ausbau des Stuttgarter Flughafens. Ort: die Rundsporthalle in der Fildergemeinde Bernhausen. Ausbaugegner und -befürworter haben sich in keinem Punkt verständigen können. Wie auch? Das Ende der Anhörung scheint - vorzeitig - gekommen. Sachfragen werden wohl wieder von den Gerichten geklärt werden müssen. Die Fildern, südlich von Stuttgart, waren einmal eine der fruchtbarsten Gegenden im Land. Seit dem letzten Krieg teilt der Beton von Autobahn und Flughafen Äcker und Gemeinden. Vor über zehn Jahren wurden Pläne der Landesregierung bekannt, dem Provinzflughafen internationales Gepräge zu geben. Seither wehren sich Bauern und Filderbewohner gegen weiteren Beton, Fluglärm, Kerosingestank und gegen ein Prestigeobjekt ihres Landesvaters Späth. Bis zum Beginn des jetzigen Planfeststellungsverfahrens durch das Stuttgarter Präsidium hatten 86.000 - fast die Hälfte aller Filderbürger der umliegenden Gemeinden - Widersprüche und Einwendungen gegen die Ausbaupläne formuliert. Im öffentlichen Anhörungsverfahren gegen die Experten der Flughafengesellschaft, des Autobahnamts und des Bundesverkehrsministeriums wird auf hohem Niveau ge stritten. Unruhig wird es allerdings im Saal, wenn der „Schall– und Dezibelgutachter“ daherkommt und mit Overheadfolien und statistischen Kurven nachzuweisen versucht, daß der Krach zukünftig nicht oder doch nur bescheiden zunehmen wird und für die nächsten Anrainer doch schalldichte Fenster und motorische Entlüftung ihrer Wohnungen vor gesehen seien. Am Sonntag um sechs gehe es los mit den ersten Touristenbombern nach Mallorca, im Freien könne man sich kaum anders als durch Handzeichen verständigen, der Schulunterricht müsse selbst im Hochsommer bei geschlossenen Fenstern durchgeführt werden und stündlich für ein paar Minuten unterbrochen werden. Das Nachtflugverbot sei schon längst zur Farce geworden. Für den US–amerikanischen Militärflughafen gilt das Nachtflugverbot eh nicht. Mehrere Bürger laden den gutachtenden Professor ein, doch eine Woche Gast ihres Hauses zu sein. Der Experte ziert sich. Doch nicht allein der Lärm empört die Bewohner der Fildern, ihre Gemeinderäte, Bürgermeister, ja selbst den Stuttgarter Nachbarschaftsverband und die Stadt selbst, mehrheitlich über Parteigrenzen hinweg. Aus Sicherheitsgründen, sagen die Experten der Flughafengesellschaft und der Landesregierung, müsse die Startbahn um 1.380 Meter verlängert, der Baumbestand eines störenden Hügels abrasiert und zusätzlich 86 Hektar Ackerland zubetoniert werden. Und weil dann die Autobahn stört, wird sie noch ein Stück näher an die paar Anliegergemeinden geschoben. Die Rinne, in der die Autobahn zum Schallschutz dann liegen soll, zerstöre vollends den Grundwasserhaushalt der Fildern, befürchten Experten der Ausbaugegner. Viele Filderbürger glauben schon längst nicht mehr, daß ihre Einwände und Argumente im Stuttgarter Regierungspräsidium Eindruck machen. Politisch sei der Ausbau beschlossene Sache. Zuerst sei in der Anhörung mit der mangelnden Sicherheit des Stuttgarter Flughafens argumentiert worden, jetzt, nachdem das Bundesverkehrsministerium interveniert habe, werde die Notwendigkeit der Startbahnverlängerung wirtschaftlich und mit dem Verweis auf allgemeine internationale Standards begründet. Über den militärischen Aspekt einer Startbahnverlängerung, glaubt eine Starbahngegnerin, seien sich das Stuttgarter Regierungspräsidium und das Bonner Verkehrsministerium schon einig. Aller Voraussicht nach wird das Anhörungsverfahren noch vor Beginn der schwäbischen Fasnet wie das „Hornberger Schießen“ zu Ende gehen. Dann müssen sich auch die Beamten des Regierungspräsidiums in die Planspiele des „Wintex–Cimex“–Manövers einreihen.

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