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Bahn-Streik"Es geht nicht um Lohn"

Einen Streiktag kann die Bahn aushalten, bei mehr kriegt sie Probleme. Doch die GDL ist auf die öffentliche Sympathie angewiesen, sagt der Gewerkschaftsforscher Hagen Lesch.

Hagen Lesch leitet die Abteilung für Tarifpolitik und Arbeitskampfforschung am Institut der deutschen Wirtschaft. Bild: institut der deutschen wirtschaft köln
Interview von Richard Rother

taz: Herr Lesch, drohen in der kommenden Woche weitere Streiks der Lokführergewerkschaft GDL?

Lesch: Die Bahn will am Montag ein neues Angebot vorlegen. Entscheidend ist, ob dieses Angebot einen eigenständigen Tarifvertrag für Lokführer enthält. Andernfalls wird die GDL ihren Arbeitskampf fortsetzen.

War die GDL erfolgreich?

Bislang ist sie ihrem Ziel nach einem eigenen Tarifvertrag nicht näher gekommen. Deshalb intensiviert sie die Streiks. Demnächst könnte auch sie mehrere Tage hintereinander streiken. Das wird zwar die Kunden hart treffen, aber darauf kann die GDL aus ihrer Sicht keine Rücksicht nehmen, weil sie keine anderen Kampfmittel zur Verfügung hat.

Könnte die Bahn diesen Tarifkonflikt aussitzen?

Sie kann kürzere Streikaktionen aushalten. Aber bei mehrtägigen Streiks gerät auch die Bahn unter Druck. Ganz wichtig ist, wie sich die öffentliche Meinung entwickelt.

Welche Möglichkeiten hat die Bahn, den Streik zu unterlaufen?

Wenige. Die Logistik bei der Bahn ist massiv gestört. Der Einsatz von nicht streikberechtigten Beamten kann kurzfristig kaum disponiert werden. Aber auch die GDL gerät unter Druck, wenn das Verständnis der Bevölkerung für den Streik bröckelt.

Fordern die Lokführer etwas, das sich viele Menschen wünschen? Nämlich mehr Geld in Zeiten des Aufschwungs?

Ja, dieses Bedürfnis ist weit verbreitet. Aber in gut laufenden Branchen wie Metall und Chemie profitieren die Arbeitnehmer schon vom Aufschwung, wie die jüngsten Tarifabschlüsse zeigen. Für die GDL geht es in erster Linie aber nicht um den Lohn. Sie will sich als eigene Tarifkraft von der großen Bahngewerkschaft Transnet emanzipieren.

Was heißt das für die Bahn?

Die Bahn muss befürchten, dass weitere Berufsgruppen dem Beispiel der Lokführer folgen. Damit wäre die Tarifeinheit gefährdet. Dann müsste die Bahn mit vielen kleinen Gewerkschaften verhandeln und hätte immer wieder Auseinandersetzungen im Unternehmen.

Wo könnte es noch neue Berufsgewerkschaften geben?

Wie bisher auch im Bereich der ehemaligen Staatsmonopole - Bahn, Luftverkehr, Krankenhäuser. Große Bereiche der Privatwirtschaft und der Industrie gehören aber nicht dazu. Die Bildung von Berufsgewerkschaften setzt eine gewerkschaftlich gut organisierte Gruppe mit homogenen Interessen voraus, die nach einem transparenten Tarifvertrag bezahlt wird. Diese Bezahlung wiederum muss als ungerecht empfunden werden.

Für Informatiker oder Ingenieure gilt dies nicht?

Nein. Sie sind heterogen und kaum gewerkschaftlich organisiert; sie werden in der Regel übertariflich entlohnt und arbeiten in verschiedenen Betrieben und Branchen. Deshalb sind Berufsgewerkschaften ein Phänomen, das sich auf den ehemaligen Staatssektor beschränkt. Die Krankenschwestern wären potenziell eine Gruppe für eine Berufsgewerkschaft, aber sie müssten erst eine schlagkräftige Organisation gründen.

Was bedeuten die Berufsorganisationen für die Gewerkschaftslandschaft insgesamt?

Die Gewerkschaften treten aggressiver auf, weil sie um Mitglieder konkurrieren. Für den betroffenen Konzern ist das wenig erfreulich, weil sich die Gewerkschaftsforderungen gegenseitig hochschaukeln können. Entscheidend ist, dass eine Berufsgruppe - etwa Piloten, Lokführer oder auch das Kabinenpersonal im Flugzeug - dazu in der Lage ist, ein ganzes Unternehmen lahmzulegen. Eine Berufsgewerkschaft achtet nur auf den eigenen Vorteil, eine Branchengewerkschaft muss sehen, dass eine Berufsgruppe nur dann mehr bekommen kann, wenn man einer anderen etwas wegnimmt. Sie ist um einen Ausgleich zwischen den Gruppen bemüht und zurückhaltender. In der Tendenz werden Berufsgewerkschaften zu einer größeren Spreizung der Löhne führen, weil die starken Gruppen auf Kosten der schwachen für sich mehr herausholen können.

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