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Bagdads Timing düpiert Bonn

■ USA: Freilassung der Deutschen ist Versuch, antiirakische Allianz zu spalten

Paris (dpa) — Die Golfkrise, eines der beherrschenden Themen in den Wandelgängen des KSZE-Konferenzzentrums Kleber am Arc de Triomphe, brachte die Deutschen völlig überraschend in eine peinliche Lage. Geradezu blitzartig wurde am Rande des KSZE-Gipfels Mißtrauen wach, als am Dienstag das irakische Parlament die Freilassung aller deutschen Geiseln billigte. Frankreich, das seine Geiseln schon vor Wochen gegen Medikamentenlieferungen freibekommen hatte, hielt sich natürlich zurück. US-Präsidentensprecher Fitzwater meinte zu der angekündigten Freilassung, es werde Saddam Hussein nicht gelingen, die gegen ihn gerichtete Allianz zu spalten.

Unklarheiten gibt es derzeit noch über die genaue Zahl der festgehaltenen Deutschen. Während es in Bagdad hieß, 124 Deutsche sollten freikommen, spricht das Auswärtige Amt in Bonn davon, daß sich noch etwa 180 Deutsche im Irak befinden. 44 von ihnen sollen als „lebende Schutzschilde“ zu strategisch wichtigen Punkten verschleppt worden sein. Dem Bundesaußenministerium lagen bislang noch keinerlei Hinweise auf den Zeitpunkt und die Modalitäten für die Ausreise der Deutschen vor. Heute wird der rechtsradikale französische Politiker Jean Marie Le Pen mit 83 ausländischen Geiseln, darunter 15 Deutschen, aus Bagdad nach Straßburg zurückkehren. Le Pen war an der Spitze einer Delegation der rechten Fraktion des Europaparlaments nach Bagdad gereist, um sich dort für die Freilassung von Geiseln einzusetzen.

Bereits am Dienstag hatte der irakische Präsident Saddam Hussein die Freilassung aller im Irak festgehaltenen Deutschen verfügt. Saddam begründete diesen Schritt mit dem Eintreten von Bundeskanzler Helmut Kohl für eine friedliche Lösung der Golfkrise und der Reise des SPD-Ehrenvorsitzenden Willy Brandt, der vor rund zehn Tagen bereits 198 Geiseln, darunter 138 deutsche Staatsbürger, zurückgebracht hatte.

Nach dem Bekanntwerden von Saddam Hussein Plan erklärte Kohl, Bonn wolle keine Sonderrolle spielen und lehne den irakischen Zynismus in der Geiselfrage ab. Eine friedliche Lösung der Golfkrise setze die Freilassung aller Geiseln im Irak voraus. Schließlich überwog der Ärger über die Zweifel, die aus der US- Delegation in die Medien gebracht wurden. „Wir können schließlich nichts dafür, wenn wir die Geiseln geschenkt kriegen“, murrte ein deutscher Diplomat.

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