: Bärenmäßiger Kater
■ McCASH FLOWS ORAKEL
Die vergangenen Mittwoch hier orakelte Wahl-Hausse hat stattgefunden. Schon zur Wochenmitte zogen die Kurse vor allem der ostaktiven Unternehmen an, nach dem überraschenden Wahlsieg der Konservativen kam es dann am Montag zu weiteren Kursgewinnen und einem neuen historischen Index-Höchststand, der freilich nur kurze Zeit hielt. Die Nachfrage, vor allem nach Papieren wie VW (+28 DM) oder Siemens (+32 DM), war hausgemacht, ausländische Aufträge spielten so gut wie keine Rolle, und wie es so ist, wenn die eher aktienabstinenten Deutschen alleine den Markt machen: Nach etwa einer Stunde ging die Luft aus. Die Kurse fielen wieder, so daß am Ende für zahlreiche Papiere nur ein mageres Plus blieb. Von Euphorie und Champagnerlaune konnte am Montag an der Börse also keine Rede sein, die Stimmung angesichts des „kapitalfreundlichen“ Votums der DDR-WählerInnen allenfalls freundlich - damit eine richtige knackige Hausse daraus wird, müssen aber die Japaner deutsche Aktien ordern, doch die hatten zum Wochenbeginn genug mit dem Nikkei-Index zu tun, der seine Talfahrt weiter fortsetzte. Nimmt man den ersten Börsentag als Indikator, dann ist es nach Ansicht der Börse auch mit einer CDU-geführten DDR-Regierung nicht sehr viel leichter, die gesamtdeutschen Profitphantasien zu realisieren, als mit der allgemein erwarteten SPD-Regierung. Vielleicht dämmert den vorausdenkenden Spekulanten ja auch schon, daß der Kohl-Sieg in der DDR leicht zu einer Niederlage bei der Bundestagswahl im Dezember führen könnte, denn wo will der Kanzler das Geld, das er drüben versprochen hat, hernehmen, wo er doch hier versprochen hat, daß niemandem etwas wegggenommen wird. Daß der Finanzminister und Berufsoptimist Waigel voraussagt, mit jährlich vier bis fünf Prozent BRD-Wachstum ließe sich die DDR-Ökonomie renovieren, können selbst die kühnsten Haussiers nicht ernst nehmen: Seit Jahren schon haben wir ein Wachstum zwischen drei und vier Prozent und das reichte kaum, die hiesige Arbeitslosenzahl zu reduzieren - wie sollen da weitere zwei bis vier Millionen Arbeitsplätze in der DDR geschaffen werden? Jeder Mißerfolg aber, den sich die Kohl-Regierung in Sachen DDR in den nächsten Monaten leistet, wird dem Herausforderer Lafontaine zugute kommen, jede unpopuläre Maßnahme schmälert das Mehrheitspolster der Koalition. Wenn nicht die ausländischen Investoren Bullenstimmung in den Markt bringen, könnte sich der Kater nach der ersten Wahleuphorie bald zum leibhaftigen Bären auswachsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen