Baden-Württemberg vor der Landtagswahl: Land, von einer Axt gespalten
Lange glaubten nicht einmal ihre Gegner an die Besiegbarkeit der CDU in Baden-Württemberg. Die hat nun die Städte abgeschrieben und mobilisiert umso stärker in den Dörfern.
Ich fahre von Stuttgart aus zu einer Lesung nach Neresheim, weit hinein in jene Landschaft, die in Baden-Württemberg gemeinhin mit Provinz gleichgesetzt wird: die Schwäbische Alb.
WOLFGANG SCHORLAU geboren 1951, schreibt Kriminalromane um den Stuttgarter Privatdetektiv Georg Dengler. Seine Bücher haben unter anderem die RAF, den Afghanistankrieg oder die Privatisierung der Wasserwirtschaft zum Thema.
Sieben Landtagswahlen gibt es 2011. Die taz hat AutorInnen gebeten, uns jene Regionen literarisch nahezubringen, aus denen sie stammen oder in denen sie leben. Am 17. 3. schrieb die Schriftstellerin Annett Gröschner über Sachsen-Anhalt. Weil am 27. 3. nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in Rheinland-Pfalz gewählt wird, befasst sich taz2/Medien-Redakteur Arno Frank vorher noch mit dem Land seiner Kindheit. Weitere Wahlen: Bremen (22. 5.), Mecklenburg-Vorpommern (4. 9.), Berlin (18. 7.).
Es ist fast Abend, wenige Tage vor der Wahl. Hinter Aalen verpasse ich die richtige Ausfahrt und tuckere eine Stunde durch die Dörfer der Ostalb. Es ist Wahlkampf. In Baden-Württemberg stehen mindestens fünf Parteien ernsthaft zur Wahl. Aber hier sieht es so aus, als gebe es allein die CDU.
Bestenfalls jedes zehnte Wahlplakat wurde von einer anderen Partei aufgehängt, mal von der SPD, mal von der Linken, eines von den Grünen bekomme ich nicht zu Gesicht. Vor einem Großplakat verursache ich fast einen Auffahrunfall. Das Bild zeigt einen Holzbock, darauf einen Scheit, der gerade von einem Beilhieb gespalten wird. Unterzeile: Klare Kante - CDU. Es hätte auch heißen können: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil - CDU.
Die CDU spielt Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus: Stadt gegen Land
Klarer habe ich noch nie gesehen, was in manchen CDU-Kreisen ohnehin gesagt wird: Es war gut, mit klarer Kante, also mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Stuttgarter Demonstranten am sogenannten Schwarzen Donnerstag vorzugehen. Auch wenn es nicht direkt angesprochen wird: Dieses Plakat vermittelt ein Bild, das man auf eine grundsätzliche Haltung übertragen kann. Das verlogen wirkende Bedauern über den brutalen Polizeieinsatz wird weggewischt.
Während es in Städten wie Ulm, Karlsruhe oder Mannheim kritische CDU-Stimmen gibt, ist die Haltung im schwäbischen Hinterland offensichtlich anders: "Haben wir gut gemacht!", hört man hier. Dies ist Teil einer Kampagne, bei der die städtische Bevölkerung gegen die Menschen in der Region ausgespielt wird: Land gegen Stadt.
In Stuttgart wagt die CDU es nicht, dieses Plakat aufzuhängen. Die großen, selbst die mittleren Städte scheinen die Konservativen in Baden-Württemberg mehr oder weniger schon verloren gegeben zu haben. Hier wird nicht mehr investiert.
"Wo hoch die Kanzel und niedrig der Verstand, da ist das schwäbische Oberland"
Eine hochrangige Vertreterin der CDU sagt mir, dass in der Stuttgarter Partei reine Panik herrsche. Es ist das flache Land, das die CDU derzeit zu mobilisieren versucht. Die Kalkulation ist klar: Von den 1.102 Gemeinden in Baden-Württemberg haben nur 70 mehr als 25.000 Einwohner. Wo hoch die Kanzel und niedrig der Verstand, da ist das schwäbische Oberland, spottet man in der Stadt.
Der Kollege Karl-Heinz Ott, selbst gebürtiger Oberschwabe, schreibt in seinem Roman "Ins Offene" über seine Heimat: "Einem langen Leben in der teigigen Trägheit dieser Winkel und Weiler wäre, denke ich jedes Mal, der kurze Schmerz des Selbstmordes vorzuziehen." Um dieses dörfliche, "teigige" Milieu zu gewinnen, scheut sich die Staatspartei auch nicht vor dem Verbreiten rassistischer Vorurteile. Winfried Kretschmann, der grüne Spitzenkandidat, so ließ die CDU streuen, sei in Wirklichkeit nur ein Platzhalter für Cem Özdemir. Im Klartext hieß die Frage, die dahinter stand: Wollt ihr einen Türken als Ministerpräsidenten? Nein? Dann wählt CDU.
Auftritt in Freiburg: Matthias Deutschmann hat das Stadttheater für einen badischen Heimatabend mit allen Konsequenzen und schwäbischen Gästen gewinnen können. Das Haus ist restlos ausverkauft. Ich gehe nicht wählen, ich gehe abwählen, ruft Deutschmann dem applaudierenden Publikum zu.
Die Zeichen stehen auf Wechsel - trotz CDU-Wahlkampfmaschine
Nein, um die Universitätsstädte muss ich mir keine Sorgen machen. Hier stehen alle Zeichen auf Wechsel. Das macht Mut. Ein paar Tage zuvor sah es noch anders aus: Lesung aus meinem Stuttgart-21-Buch mit Boris Palmer, dem grünen Tübinger Oberbürgermeister, in Heilbronn bei der Buchhandlung Osiander. Zwar ist die Veranstaltung ausverkauft, viele Grüne und Stuttgart-21-Gegner sind erschienen. Doch die Stimmung ist gedrückt. Die CDU-Wahlkampfmaschine mache das Land platt, wird geklagt. Ich fahre mit Palmer in nachdenklicher Stimmung zurück. Die gefühlte 100-jährige CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg führt auch dazu, dass selbst viele ihrer Gegner nur schwer an einen Wechsel glauben können. Die CDU sitzt so selbstsicher im Sattel, dass sich SPD und Grüne eine Veränderung jahrlang nur an der Seite der CDU vorstellen konnten. Daraus ergaben sich die fatalen schwarz-grünen Träumereien bei den Grünen und das oft dumme und erbitterte Grünen-Bashing bei der SPD, die eine große Koalition im Sinn hatte. Jetzt erst, viel zu langsam und zögerlich, korrigieren die beiden Parteien ihr Verhältnis zueinander.
Zuletzt: ein Auftritt in der Nähe von Pforzheim, mitten im Wahlkreis von Stefan Mappus. Der örtliche Lions Club hat mich zu einer festlichen Veranstaltung eingeladen. Ich lese aus meinem Afghanistan-Roman "Brennende Kälte". Man sollte meinen, hier befände ich mich mitten im schwarz-gelben Kerngeschäft. Ich erkundige mich nach Mappus. Jeder kennt ihn hier. Der hat schon mit zwölf Plakate für die Partei geklebt, sagen sie. Werden Sie ihn wählen, frage ich. Kopfschütteln. Der hat nur die Macht im Kopf. Mehr ist da sonst nicht drin. Schon in den kleinen Vorstädten von Pforzheim endet offenbar, was manche in Baden-Württemberg für die Provinz halten. Die Zeichen stehen auf Wechsel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“