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Badekur in UngarnEin großes, befriedetes Planschbecken

Ein Cadillac, Schwefeldämpfe und die Hoffnung auf Heilung. Der Thermalsee in Hévíz weltweit der einzige, der zu therapeutischen Badezwecken genutzt wird.

Mit dem Schwimmreif im Thermalsee Héviz, Ungarn Bild: Stefan Robert Weissenborn

Angefangen hat alles mit einem Cadillac. Einem, den der Sammler jeden Sonntag durch Frankfurt am Main ausführte. Den er so liebte, dass er ihn prophylaktisch behandelte. Für den befürchteten Fall eines Achsbruches hatte der Sammler als Ersatz irgendwo eine Hinterachse aufgetan. Sein Freund Karl-Heinz Berg aus dem nahen Butzbach half beim Transport: Er packte mit an, als es daran ging, das schwere Stück Metall aus dem Bulli in die Garage zu hieven.

„Und da hat es hinten knacks gemacht“, erzählt der 69-Jährige. Irgendetwas war kaputt gegangen, mit Langzeitschäden für die Bandscheiben. Von Glück sagt er heute, dass es den Heilsee in Hévíz gibt. Seit 1989 kommt Herr Berg zweimal jährlich, um in dem weltweit einzigartigen Thermalgewässer nahe des Plattensees zu kurieren. Nie mehr musste er sich vom Arzt „hochspritzen lassen“ oder Medikamente gegen Schmerzen schlucken: „Das hat richtig was geholfen“, sagt Herr Berg über seine langjährige Badekur. Aber nicht nur für ihn, der an diesem Tag mit schwarzer Badehose und einem Schwimmreif über der Schulter sein Bad schon hinter sich hat, ist Hévíz eine Segnung. Schon die Römer hatten die heilende Kraft des eigentümlich warm sprudelnden Wassers entdeckt, wie historische Funde in der Nähe vermuten lassen.

Heute ist Hévíz ein großes befriedetes Planschbecken für die Betagten. Umzäunt und mit begradigten Ufern hat der auch im Winter nie kälter als 24 Grad warme See in der Größe von gut sechs Fußballfeldern etwas von einem beheizten Freibad, würden nicht wichtige Merkmale fehlen: kreischende Kinder, Pommesgeruch, balzende Jugend und schwimmende Menschen. Allzu anstrengende Bewegung ist im leicht radioaktiven Wasser nicht empfohlen, aber keine Bange: Der Gehalt an Radiumsalzen ist so gering, dass er für Erwachsene eher gesund ist. Kinder dürfen erst ab zwölf Jahren ins warme Nass, das im Sommer fast die Temperatur der Quelle am Grund erreicht: 38 Grad. So treiben die Kurgäste in ihren Schwimmreifen hängend umher. Das Wasser ist wegen der Quelle immer in Bewegung. Manche machen an den im Grund verankerten Längsstangen fest, legen die Füße hoch, nehmen eine Sofastellung ein.

Fast scheint es, als müsse die Abwesenheit kindlicher Unbeschwertheit durch die massenhafte Verwendung der Schwimmreifen kompensiert werden. Dabei hat es einen handfesten Grund, sich mit dem obligatorischen Accessoire eines Nichtschwimmers auszustatten, denn das schwefelige Nass dampft und kann sprichwörtlich benebeln: „Die Inhalation geht auf den Kreislauf, wer labil ist, kippt um“, erläutert Berg.

Im Winter, wenn Luft- und Wassertemperatur stark voneinander abweichen, hängt eine isolierende Dunstglocke über Hévíz. Dann ist der See in Herrn Bergs Vorstellung wie eine riesige Suppenschüssel. Nur dass nicht junges Gemüse, sondern mit Schwefel, Kohlensäure, Kalzium, Natron, Magnesium, Hydrokarbonat und einer strahlenden Prise Radon „gekocht“ wird. Schnöde Karpfen fühlen sich ebenso wohl wie Seerosen, die um 1900 noch weitaus mehr Wasseroberfläche als heute bedeckten. Bedeckter waren damals auch die Körper.

Im Kampf gegen Stechmücken wurde 1937 der Koboldkärpfling ausgesetzt. Er frisst die Larven. Libellen tanzen im Schilf, wo die natürliche Vegetation noch gedeiht. Mitte des letzten Jahrhunderts wurde endgültig erwiesen, dass das Wasser müde Knochen munter machen kann - bei Rheuma, Osteoporose, Erkrankungen des Bewegungsapparates und nach Operationen.

Hévíz ist ein Hort der berechtigten Hoffnung auf Genesung und eine balneologische Erfolgsgeschichte. Im Jahr 2007 kamen erstmals über eine Million Gäste, wie Agnes Liscsinszky, PR-Managerin in Hévíz, sagt. Seit Wendezeiten boomt das Geschäft, in Hévíz soll das Pro-Kopf-Einkommen eines der höchsten in Ungarn sein.

Baden zwischen Seerosen Bild: Stefan Robert Weissenborn

Im Schnitt kommen jährlich rund 700.000 Gäste, die meisten aus Deutschland und Österreich. „Hévíz ist der einzige Thermalsee weltweit ist, der zu balneologischen Zwecken genutzt wird“, sagt Fremdenführerin Adelheid Tóth. Dieter Stoppel von der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften meint: „Der See ist eine absolute Seltenheit.“ Den Grundstein für das Kur- und Heilbad Hévíz, ja die ganze Spa-Industrie am Ort legte Graf György Festetics Ende des 18. Jahrhunderts, als er damals am noch unbefestigten Ufer ein erstes hölzernes Umkleidehäuschen errichten ließ. Zu dieser Zeit wurde das Wasser erstmals wissenschaftlich analysiert. Mit den fortlaufenden Untersuchungen wurde aber auch festgestellt, dass immer weniger Thermalwasser in das trichterförmige Becken den Weg aus den geothermischen Tiefen fand.

Wie das damalige DDR-Organ Neues Deutschland Anfang der 1980er Jahre berichtete, erneuerte sich das Wasser des Sees damals innerhalb von 24 bis 30 Stunden. Doch er brauchte immer länger für die Selbstreinigung. „Die besten Sporttaucher des Landes“ machten sich auf die Suche nach der allmählich versiegenden Heilquelle, die vor mehreren tausend Jahren erstmals Wasser preisgegeben hatte. Auf dem Grund in knapp 40 Metern Tiefe fanden die Wassermänner eine Höhle, „die nur einen schmalen Zugang hat und zuvor noch nie von einem Menschen betreten worden war“, schrieb das ND im Mai 1983. Dort entdeckten die Taucher, dass der See von zwei Quellen gespeist wird: einer, die rund 40 Grad warmes Thermalwasser hervorbringt, und einer Kaltwasserquelle von 17 Grad. Sie entdeckten auch, dass Geröll und Schlamm die Wasserzuflüsse buchstäblich verstopften. In Tausenden Tauchgängen schafften die Spezialisten alles zur Seite und fanden Relikte vergangenen Kurbetriebs wie Schmuck und Brillen. „Dem großen Mut dieser Männer“ sei es zu verdanken, dass sekündlich „sogar 15 bis 20 Liter Thermalwasser mehr als zuvor in den See strömen“, schloss der Artikel.

Der Heilsee

Das Seebad ist 365 Tage im Jahr geöffnet, in den Sommermonaten bis August täglich von 9 bis 20 Uhr. Der Eintritt für drei Stunden kostet umgerechnet gut 7 Euro, die Tageskarte 12,50 Euro. Aus Sicht der Fachwelt ist der See "ein ausgesprochen seltenes Phänomen", wie bei der Deutschen Geologischen Gesellschaft in Hannover zu erfahren ist. Erst wieder im Norden Neuseelands im Distrikt Rotorua gibt es ähnliche Gewässer. Der dortige Echó-Kratersee ist 3,8 Hektar groß, mit Temperaturen von über 50 Grad Celsius aber zum Baden nicht geeignet. Die Kur in ihrer heutigen Form mit dem Badebetrieb besteht mittlerweile seit über 200 Jahren. Im Jahr 1795 ließ Graf Festetics den Ort zum Heilbad ausbauen. www.heviz.hu

Der Ferienhausanbieter Novasol hat ein gutes Dutzend Häuser und Wohnungen in Hévíz (www.novasol.com). In den Mietpreisen sind alle Nebenkosten (Strom, Gas, Wasser) sowie die Endreinigung, Handtücher und Bettwäsche inbegriffen. Wer es luxeriös mag, checkt im Fünf-Sterne-Hotel Rogner Lotustherme ein (www.lotustherme.com), das 2007 als "bestes Wellnesshotel Ungarns" ausgezeichnet wurde.

Das aus Sicht der Kurgäste erfreuliche Ergebnis der Unterwasserexpedition mussten damals jedoch zwei Taucher mit ihrem Leben bezahlen. Sie hatten nicht gewusst, dass in dem warmen Thermalwasser weitaus längere Dekompressionspausen beim Auftauchen hätten eingelegt werden müssen. Für die Kurgäste lauern weitaus weniger Gefahren, es gibt aber dennoch „Kontraindikationen“, wie es Mediziner nennen: So eignet das Bad sich wegen der leichten Radioaktivität nicht zur Krebstherapie, es befördert das Wachstum von Tumoren sogar. Auch für Herz- und Kreislaufkranke wie für Lungenasthmatiker ist Hévíz kein Quell der Gesundheit. Dagegen kann es für Frauen, die Probleme haben, schwanger zu werden, wegen der minimalen Strahlung die entscheidende Stimulation bedeuten. Ohne ärztlichen Rat aber sei ein Bad von über dreißig Minuten nicht empfohlen, verheißt die Badeordnung.

An die halten sich aber längst nicht alle. Ein Ehepaar aus Kassel dümpelt schon eine Stunde herum, den Reif „nur für die Gemütlichkeit“ dabei. Ein Bad schadet nicht, „nach vierzehn Tagen merken Sie aber schon was“, so der Tipp. Ein älterer Herr nimmt sich ein paar gemächliche Kraulbewegungen heraus. Als „Rettungsboot“ treibt ein Ruderboot durch die Seerosen. Ein schwimmendes Kaffeekränzchen von fünf Damen mit Hüten aber ohne Kaffee sinniert über die Jugend, die am Plattensee wenigstens den ganzen Tag baden könne. Die Konversation treibt dahin. Gehalten von dem Auftrieb der Schwimmgeräte.

Von Interesse ist indes nicht nur der eigene Gesundheitszustand, sondern auch das Befinden des Sees. Mittlerweile würden sämtliche Hotels im Ort Wasser vom See abzapfen, sagt ein Stammgast mit breitem bayerischen Akzent und befürchtet, das Wasser könne bald ausgehen. Eine Badende mahnt: „Ohne den See würde es Hévíz doch gar nicht geben.“ Jedenfalls wird dem See Schlamm vom Grund entnommen. Immer mehr Hotels am Ort bieten Packungen mit „Hévízer Heilschlamm“ an. Im 18. Jahrhundert sah man die Magie von Hévíz unkompliziert: In einer wissenschaftlichen Arbeit hieß es: „Hévíz ist gut für die nach der harten, täglichen Arbeit Ermüdeten, weil das Wasser des Sees sie frisch macht, aber Hévíz tut auch den Nichtstuern gut, weil das Wasser sie zur Arbeit aufmuntert.“

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