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Bad Boy als Faun im Tüllröckchen

Slapstick und domestic comedy: Das Zeughaus-Kino zeigt Filme von Charley Chase und Harold Lloyd  ■ Von Lars Penning

Wenn ein Bräutigam auf der Fahrt zur Trauung plötzlich eine nackte Frau im Auto sitzen hat, ihren eifersüchtigen Ehemann unwissentlich als Anhalter mitnimmt und schließlich sowohl einem neugierigen Polizisten als auch der wartenden Hochzeitsgesellschaft die Anwesenheit der unbekleideten Schönen erklären muß – dann befinden wir uns garantiert mitten in einer Charley-Chase-Komödie.

Buchstäblich Hunderte von Kurzfilmen wie „Limousine Love“ hat der Komiker im Laufe seines Lebens gedreht, und in Europa ist er doch nahezu unbekannt geblieben. Seine erfolgreichste Zeit erlebte Chase Mitte der zwanziger Jahre, als ihm vom Hal-Roach-Studio der junge, talentierte Leo McCarey als Regisseur zugewiesen wurde. In nahezu fünfzig Filmen entwickelten Chase und McCarey das Genre der „domestic comedy“ und nahmen die Screwballkomödie der dreißiger Jahre um ein gutes Jahrzehnt vorweg. Chase, der unter seinem bürgerlichen Namen Charles Parrot auch als Regisseur für Roach arbeitete, war weniger Slapstick- als vielmehr Charakterkomiker und wirkt heute in seiner spielerischen Eleganz fast wie ein Vorläufer von Cary Grant.

Häufig stellte Chase einen jungen Mann der oberen Gesellschaftsschicht dar, der bis zum obligatorischen Happy-End enorme Schwierigkeiten hat, den Erwartungen von Eltern oder Ehefrau zu entsprechen, und immer wieder an gesellschaftlichen Konventionen scheitert. Stets ist sein Weg von Demütigungen und Peinlichkeiten aller Art gepflastert. Genüßlich werden dabei fragwürdige Rollenklischees ausgespielt. Im Mittelpunkt von „Bad Boy“ steht die Frage, was einen echten Mann ausmacht: Vom Vater nach Hause beordert, um in der elterlichen Fabrik das Geschäft von der Pike auf zu erlernen, erweist sich Chase leider als Schwächling, der sich in jeder Hinsicht vor den Kollegen blamiert. Zu Hause drängt ihn seine Mutter, als blumenumkränzter Faun im Tüllröckchen in einer Wohltätigkeitsparty mitzuwirken.

Das lächerliche Kostüm macht ihn jedoch bei seinem Mädchen völlig unmöglich. Nunmehr als harter Bursche verkleidet, versucht er, sie in einer Gangster-Spelunke zurückzugewinnen. Von den Ganoven wird er versehentlich für den Killer „Bad Boy Brodie“ gehalten und so lange respektiert, bis in der Zeitung ein Foto von Muttis Ballettaufführung entdeckt wird. Rehabilitieren kann sich Chase erst, als er schließlich nur noch der clevere Junge aus der Upperclass sein darf, der die Gangster auf pfiffige Weise austrickst.

Häusliche Probleme, Ehe- und Generationskonflikte dienen Chase und McCarey immer wieder als Ausgangspunkte einer Komik, die auf Lawinen von sich multiplizierenden Mißverständnissen und Zufällen beruht, die dem armen Charley meist keine Möglichkeit zur Erläuterung mehr lassen. Der Humor dieser Filme ist sarkastisch bis hin zu makabrer Grausamkeit: Ein abgewiesener Rivale versucht Charley in „His Wooden Wedding“ weiszumachen, seine Braut habe ein Holzbein. Wie der verstauchte Knöchel der zukünftigen Gattin, ein Holzsplitter in Charleys Finger, das abgefallene Bein einer Schneiderpuppe und die Vision einer ganzen Holzbein- Familie die Heirat zunächst verhindern, mag wohl zu den zynischsten Sequenzen der Filmgeschichte gehören.

Von unerschütterlichem Optimismus und Enthusiasmus geprägt sind dagegen die Filme von Harold Lloyd. Als Chaplin-Imitator hatte er einst beim Roach-Studio angefangen, fand jedoch schon Ende der zehner Jahre zu seiner typischen Rolle als schüchterner, junger Mann mit kreisrunder Brille und Strohhut.

Lloyds Filme handeln von Schein und Sein: Stets gibt sich Harold als etwas aus, was er nicht ist – um dann schließlich doch in die angenommene Rolle hineinzuwachsen. Sein Hantieren mit Vaters Revolver und Sheriffstern in „The Kid Brother“, wo er als Aschenputtel einer Familie von harten Männern fürs Waschen und Geschirrspülen zuständig ist, führt zunächst zu ungeahnten Verwicklungen – doch durch das unerschütterliche Vertrauen eines Mädchens in seine Fähigkeiten wächst er schließlich über sich hinaus, fängt einen Dieb und rettet seinen Vater vor einem Justizirrtum.

In „Safety Last“ macht gleich die erste Szene deutlich, daß auch hier nichts so sein wird, wie man zunächst vermutet: Hinter Gitterstäben nimmt Harold Abschied von zwei weinenden Frauen, ein uniformierter Mann und ein Pfarrer begleiten ihn – im Hintergrund scheint der Galgen zu warten. Als die Kamera die Szenerie von der anderen Seite darstellt, stellt man überrascht fest, daß sich der Uniformierte als Bahnhofsvorsteher und der Galgen als Streckensignal erweist: Harold fährt bloß mit dem Zug in die große Stadt, um dort sein Glück zu versuchen.

Die Komik des Films ergibt sich aus seinem Versuch, zwei Rollen gleichzeitig zu spielen: Seiner Verlobten macht er weis, der erfolgreiche Geschäftsführer eines Kaufhauses zu sein, während er tatsächlich nur den Posten eines kleinen Verkäufers innehat. Auch Fassadenkletterer ist er natürlich eigentlich nicht, und doch wird er am Ende als Werbegag die Kaufhausfront erklimmen müssen. Der gefahrvolle Aufstieg wird ihm den beruflichen Erfolg bringen und endet in den Armen seiner Braut.

Unter dem Titel „American Boys im Slapstick“ zeigt das Zeughaus-Kino ab Sonntag eine Reihe der schönsten Filme mit Charley Chase und Harold Lloyd, darunter auch Lloyds wenig gespielte frühe Tonfilme „Feet First“ und „Movie Crazy“.

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