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Back To School

■ Müssen HipHop retten: Arj Snoek, DJ Kaos und N1tro/Bomb20 im Phonodrome

„It's bigger than HipHop Hip-Hop HipHop HipHop“ (Dead Prez, 2000). Fern jeder Schwarzmalerei befürchten immer mehr HipHop-Aktivisten, dass die Zukunft ihrer Kultur trotz bunter Graffitis eher dunkel aussieht. Zuviel von der Substanz des alten Wildstyle ist verloren gegangen, durch eine Inflation von Surrogaten, naturidentischen Aromastoffen und Austauschflüssigkeiten droht HipHop in Deutschland der Gummibärchen-Overkill. Umgeben von Dummys, Attrappen und Mogelpackungen auf der eine Seite und dogmatischen Hardlinern auf der anderen, bleibt Unverbesserlichen nur noch die Flucht nach vorn. Das dachte sich zumindest die graue Eminenz des Hamburger HipHop, Jäki „Mutter ist die Bes-te“ Hildisch, und besann sich auf die Taktiken der Frühtage.

Als ein Ergebnis wird ab diesem Freitag im Phonodrome HipHop wieder zu neuen Ufern gekickt. In lose fortgesetzter Reihe ohne Titel mit DJ Coolman als „Resident“ werden die hier gastierenden Plattendreher, zumeist selbst Musiker, Breakbeats und Raps neu klassifizieren. Während der Berliner DJ Kaos von (Turntable) Terranova noch aus dem engeren Einzugskreis kommt und wohl ein ent- wie ansprechendes Set aus HipHop und Artverwandtem spielen wird, nähert sich mit dem Erfinder des Polka-House, Arj Snoek aka Albert Gabriel, ein seltsamerer Kandidat aus Kölner Whirlpool-Kreisen. Als DJ Chestnut veröffentlichte er 1997 eine EP mit Geigensamples und seltsam pluckernden Lego-Beats, inzwischen dürfte er bei massiveren Baustoffen angekommen sein.

Als Höhepunkt des Abends werden die Puppetmastaz in Gestalt von Bomb20 und N1tro den alten Cage-Ansatz fahren: „You have to destroy to create.“ In ihren Sets kann sich der Trümmercharakter „gebrochener Beats“ am besten behaupten, und auch sie werden an diesem Abend in erster Linie HipHop (re)präsentieren. Keine Selbstverständlichkeit, denn das Berliner Kollektiv ist identisch mit den Gründern des Labels Audio Chocolate und verdiente sich seine Meriten bisher im sowie bei Digital Hardcore. Und was dem Label-Zugpferd Atari Teenage Riot der Punk war, ist den Puppetmastaz der HipHop.

Nach ihrer musikalischen Heimat befragt, antwortet Bomb20: „Ich bin als Kind mit 2 Live Crew-Tapes von Freunden aufgewachsen und höre eigentlich bis heute viel HipHop – ich fand dann später wichtig, was DHR gemacht hat und ließ mich davon beeinflussen.“ N1tro, ein Kind Spandaus, spricht seinerseits von „Besatzungs-Rap, Bros („When Will I Be Famous?“) und ATR“. Beide begreifen sich nicht als Teil eines (elektronischen) Widerstands gegen irgendetwas – N1tro in der Spex: „Pussy Pop Riot suck my dick!“, Bomb20: „Hardcore ist Murmeltiertag“ – vielmehr entwickelt sich bei ihnen HipHop außerhalb der zum Stereotyp verkommenen Konstruktion einer „Gesamtkultur“.

Weg von den vier Säulenheiligen – MC, DJ, Sprayer und Breaker – hin zu einem Verständnis von HipHop als Selbstbedienungsladen. Das könnte ein Ausweg sein. HipHop wie er einst gedacht war: Mach was draus. Oder, um mit Dead Prez zu schließen: „It's real HipHop, and it don't stop till we get the po po off the block.“

Lars Brinkmann

 mit DJ Coolman: Freitag, 22 Uhr, Phonodrome

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