piwik no script img

Bachelor-StudiumModule für Versuchskaninchen

Die Bachelor-Studiengänge erziehen zum schnellen Studieren - Inhalte bleiben oft auf der Strecke. Ein Erfahrungsbericht.

Bachelor-Pioniere sind eigentlich Versuchskaninchen. Bild: photocase/view7

BERLIN taz | "Das gibts nicht mehr. Sie müssen jetzt den Bätschelor machen", sagte die sichtlich genervte Dame auf der anderen Seite des Tisches. Ich stand im Studierendensekretariat der Uni Bielefeld und wollte mich einschreiben: Magister in Geschichte. Okay, ähm, gut, ja, mache ich, erwiderte ich. "Der dauert nur sechs Semester, fängt jetzt gerade neu an. Sie gehören also zu den Pionieren", sagte sie und versuchte ein Lächeln. Etwas gequält. Noch schnell ein Nebenfach dazu ("Soziologie geht nicht, ich trag Sozialwissenschaften ein") und schon war ich wieder draußen und ratlos. Pioniergeist fühlt sich anders an. An der Schule hatten Lehrer vom Bachelor noch nichts mitbekommen, damals im Sommer 2002, und in den Vorbereitungen auf das Studium noch nicht berücksichtigt. Was ich nicht wusste: Pioniere sind eigentlich Versuchskaninchen. Im Laufe der Semester haben wir, die erste Generation der Bachelorstudenten, das häufiger zu hören bekommen. Dementsprechend chaotisch war die Studienplanung. Unsere Studienordnung war so vollgepackt, dass manche von uns 30 Semesterwochenstunden auf sich genommen haben - eigentlich unmöglich zu bewältigen, wenn zu jeder Stunde noch eine Vorbereitungs- und Nachbereitungsstunde kommen (so die grobe Rechnung) und dann noch Referate, Hausarbeiten und Klausuren anstehen. Nach vier Semestern merkten die Studienplaner dann, dass die Anforderungen im Bachelor zu hoch waren, und die Studienordnung wurde mal eben von Klausuren und einem ganzen Modul befreit. Damit hatte ich unter anderem acht Klausuren umsonst geschrieben, obwohl ich sie bestanden hatte. Das Modul konnte ich in den sogenannten wahlfreien Bereich schieben, der dafür gedacht war, Veranstaltungen aus anderen Fächern zu belegen.

Ich nahm mir nun die Freiheit, ein Semester Veranstaltungen nach Interesse auszuwählen, was dazu führte, dass ich danach nicht mehr die Veranstaltungen machen konnte, die ich für meine "Profilbildung" im Nebenfach Sozialwissenschaften gebraucht hätte. Folglich musste ich das Profil Lehramt wählen, wollte ich nicht zur Langzeitstudentin werden.

Das Wichtigste in jeder Vorlesung war die Anwesenheitsliste. Wo ist sie gerade, ist sie schon herumgegangen, habe ich sie verpasst und kann ich mich noch nachher eintragen? Schlimm war es, hatte man einen der billigen Plätze auf der Treppe neben den Sitzreihen ergattert (das kam nicht selten vor, die Vorlesungen waren oft heillos überfüllt). Die Gefahr war groß, seine Unterschrift nicht neben seine Matrikelnummer setzen zu können. Und das wäre fatal gewesen: Bereits bei zweimal fehlen ist der Leistungsnachweis eines ganzen Semesters verschenkt.

Früher, erzählte man uns, saßen die Studierenden auf den Treppen und diskutierten. Über Werte und Politik. Wir saßen auch auf den Treppen und diskutierten. Über Leistungspunkte (Credit Points) und Hauptmodule. Das Inhaltliche ist zu kurz gekommen in meinem Studium. Das oberste Ziel war: schnell durchkommen. Und das habe ich auch später, als Masterstudentin und Tutorin für Studienanfänger, immer wieder beobachten können: Es geht darum, möglichst schnell und dennoch möglichst gut abzuschneiden sowie nebenbei Berufserfahrung in Praktika und Nebenjobs zu gewinnen. Wer will es uns vorwerfen - haben wir doch seit der Schule vermittelt bekommen, dass wir es schwer haben werden, egal was wir machen wollen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • M
    Mark

    Es geht nicht um die Anwesenheitslisten an sich sondern um deren Stellenwert im Vergleich zu den Inhalten und der Studiumsorganisation. An der TU Darmstadt mag es ja besser sein - ich habe mit der Bachlor/Master-Reform und dem Bolgonaprozess ein qualitativ schlechtes Studium bekommen. Und das liegt nicht an meiner Motivation sondern über weite Strecken an einer überforderten Lehre und Organisation. Und Glückwunsch zum Besuch in Bombay. Gut untergebracht im Posting!

  • C
    Christoph

    Was hat die Anwesenheitspflicht oder ein überfüllter Hörsaal mit der Umstellung auf den Bachelor zu tun?

    Ich hab in meinen ersten 4 Semester Maschinenbau an der TU Darmstadt bisher nur in zwei Kursen (Einführung in die Umweltwissenschaften [studium Generale] und einem Seminar zu Arbeitstechniken) Anwesenheitslisten gehabt und die gab es auch dort auch schon im Diplom.

    Und einen Sitzplatz habe ich überhaupt nur gehabt, weil mein Fachbereich zur Umstellung auf den Bachelor eine Zulassungbeschränkung eingeführt hat.

     

    Von einer Erhöhung des Schwierigkeitsgrades würde ich auch nicht sprechen, da unser Bachelorstudiengang sehr gut mit den ersten 3 Jahren des Diploms vergleichbar ist.

     

    Von einer Erschwerung des Auslandstudiums kann bei uns auch wohl auch kaum gesprochen werden, da wir mehrere Dualdegreeprogramme und Austauschprogramme mit sehr vielen Universitäten haben. Ich bin jetzt selbst kurz davor von meinem Jahr am Indian Institute of Technology Bombay zurück zu kehren.

     

    Ich habe den Eindruck, dass an den meisten Universitäten die Umstellung auf den Bachelor ausgenutzt wurde einseitige Vorstellung der Verwaltung oder der Proffessoren umzusetzen. Natürlich ist notwendig bei der Diskussion auch die Studenten einzubeziehen.

  • J
    Julia

    Kann ich nur bestaetigen! Von vorne bis hinten. Und wenn man einen netten Dozenten hatte, der die Liste ignorierte, hat der am Ende Aerger bekommen.