Babylonische Tonverwirrung

Es muß nicht immer Club- oder Lounge-Musik sein. Im Laden der Neuen Berliner Initiative zeigen Musiker und DJs, wie schön es klingen kann, wenn Platten mißhandelt und Plattenspieler manipuliert werden  ■ Von Susanne Messmer

Was passiert, wenn Grillenzirpen, das Krächzen eines Radiomoderators, eine Horoskopplatte, F.R. Davids 80er-Jahre-Hit „Words“, der viel zu langsam abgespielte Soundtrack eines Science- fiction-Films und kaltes, weißes Rauschen miteinander vermatscht werden? Es passiert eine babylonische Tonverwirrung, oder, anders ausgedrückt, es passiert die allerschönste Industrial-Musik, alt ausgeschnitten und neu verklebt vom Samplertrio Kroess.

Kroess ist ein Projekt, bestehend aus einem Musiker der Berliner Industrial-Gruppe NoISE und den Autoren und Herausgebern von artefakt, der Berliner Zeitschrift für Hörgewohnheiten störende Musik, Annibale Picicci und Erik Benndorf, die sonst unter dem Namen Kein Babel auflegen. Sie sind Musiker oder auch DJs im nicht ganz geläufigen Sinne. In ihren Sets, die sie mit zwei Plattenspielern, CD-Player, Minidisc- Player, Mischpult und Radiogerät zusammenstellen, kommen ausschließlich bereits existierende Tonquellen vor.

Wie in der Konkreten Musik gehen Kein Babel davon aus, daß es jedes Geräusch schon einmal gegeben hat, also nichts Neues erfunden und hinzugefügt werden kann und muß. Damit haben sie den immer größer werdenden Informationsmüllberg im Visier. Das nervt gewaltig. Indem sie ihn aber nur umschichten und zerlegen, ihm also nichts entgegensetzen, gehören sie dennoch nicht zu den altmodischen Dumpfbacken, die ewig nach einem goldenen Zeitalter der echten Erfahrungen suchen.

So arbeiten die beiden immer unverkrampft improvisierend auf das eine gute Gefühl hin, das sich einstellt, wenn sie die Kontrolle verlieren. Oft entsteht da ganz zufällig ein super Zusammenspiel unzusammenhängender Geräusche, das neu ist, das plötzlich ohne sie auszukommen scheint, nur weil sie den Regler für das Gerät aufgerissen haben, in dem schon lang eine CD mitläuft, die sie nicht kennen. So kommt ab und an ein packender Sog auf, eine Endlosschleife, die einen für kurze Zeit in meditativer Sicherheit wiegen kann. Es keimen Hoffnungen auf Harmonien, die berühmte Rätselraten-Nostalgie („Weißt du noch, von wem das war?“), um gleich darauf mit einer kalten Dusche abgewürgt zu werden.

Abenteuerliche Brüche schicken die Sentimentalitäten durch den Shredder, man fühlt sich humvorvoll ertappt und irgendwie so amüsiert wie beim „Kettensägenmassaker“, wenn die Köpfe fliegen. Versteht sich von selbst, daß wir heute bei Kein Babel auch Zeuge des Zappens zwischen neuen Parteiprogrammen und dem dazu passenden Wetterbericht werden.

Es gibt nur wenige Orte in Berlin, wo solche Musik existieren kann, wo man nicht hingeht, um sich zu amüsieren, um zu tanzen oder angenehm zu plaudern. Nur wenige Läden wollen weder Club noch Lounge, keine Bühne, kein Ort für Konzerte sein. Im Laden der Neuen Berliner Initiative rund um die Minimalelektroniker Kyborg haben Kein Babel aber jetzt einen Platz gefunden, an dem sie monatlich zu zweit oder zu dritt ihren Krach machen können. Unter dem von Jorge Luis Borges entliehenden Label „Garten der verschlungenen Pfade“ laden sie in der zweiten Hälfte der Nacht befreundete Musiker und DJs ein, aufzulegen.

Heute abend ist es ein Krachmacher, der unter dem Namen Nomex Platten mißhandelt, Plattenspieler manipuliert und zu „Drillspielern“ umbaut. Zu diesem Zweck hat er sich bereits bei seinen Gastgebern eine Bohrmaschine mit Umschalthebel geborgt. Bei Staalplaat aus Amsterdam, der einschlägigsten Plattenfirma für derartig unhörbare Ruhestörungen, sind bisher zwei Singles von ihm erschienen, auf dem fieses rhythmisches Knacken zu hören ist. Hat's schon hundertmal gegeben, erfreut aber trotzdem das herbstlich gestimmte, hadernde Herz. Außerdem munkelt man, daß Nomex heute zwecks Interaktion mit der Umwelt im Club Mikrofone installieren wird.

„Garten der verschlungenen Pfade“ jeden ersten Freitag im Monat. Heute mit Kroess und Nomex, 22 Uhr im NBI, Schönhauser Allee 8, 2. Hof Mitte