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Archiv-Artikel

BÜRGERS STEIG Sei umschlungen

Dem Hund entwachsen, umschlingt sie ihn noch

Eine Stille breitet sich in der Wohnung aus. Astrein. Zeit zu gehen. Draußen Geschäftigkeit, Autos biegen ab, hupen sich an, es wird ein- und ausgeparkt. An einem Kombi steht ein Mädchen mit ferienblonden, ungekämmten Haaren und guckt durch alle Menschen durch, von deren Blick sie gestreift wird. Jemand packt den Kofferraum aus, das Mädchen guckt weiter. Es hält einen großen beigen Plüschhund in seinen Armen. Sie ist dem Hund entwachsen, in ihrem Blick kommt er nicht mehr vor. Sie umschlingt ihn dennoch. Ein fratzenhaft geschminkter Junge rennt kreischend die Pflastersteine entlang. Einen Augenblick später fasst einen der Winter auf dem Trottoir noch mal mit Samthandschuhen an, ein tiefrot gefärbtes, schütteres Ahornblatt kitzelt die Nasenspitze. Belagwechsel ist beim Gehen angesagt, jetzt läuft es sich durch Baustellenschotter. Als ein Autokennzeichen namens BRG-T … ins Blickfeld gerät, tauchen aus dem Fastnichts die Worte „Bargeld“ und „Bargteheide“ im Kopf auf. Punkt. Eine Frau hastet im Gespräch vorbei, sie hält an, ihr Begleiter holt einen Werkzeugkasten aus einem kleinen Rollkoffer. „Diese Geschichten“, sagt sie und erhebt ihren Zeigefinger, „diese Geschichten gibt es auch im persönlichen Umfeld meiner Familie.“ Ein weites Feld und im Zweifel irreparabel. Zwei Männer stehen vor dem Eingang einer Arztpraxis. „Ich hab mir mal mit 32 das Genick gebrochen“, überbrückt der eine dem anderen die Wartezeit. „War am Tegeler See. Bin von einem Turm gestürzt.“ Der andere nickt anerkennend, die Geschichte ist schwer zu toppen. Wieder Stille der Art, wie sie in der Stadt entsteht, wenn, Technik und Zufall geschuldet, alle Vorrichtungen, alle Menschen schweigen. In diese Geräuschlosigkeit hinein sagt der andere Mann plötzlich: „Menschen sind auch nur begrenzt souverän.“ Dann drückt er auf eine Klingel. Die Tür zur Arztpraxis öffnet sich. HARRIET WOLFF