BUCHTIPP: In exotischer Gesellschaft
Rose de Freycinet segelte 1817 um die Welt und protokollierte die gesellschaftlichen Events ihrer Reise.
Rose de Freycinet war ein züchtiges Frauenzimmer. Hübsch, wohlerzogen, tugendreich, französisch. Das jedenfalls lässt sich aus ihren Briefen lesen. Als einzige Frau unter 120 Männern umsegelt sie von 1817 bis 1820 an der Seite ihres Mannes, des Forschungsreisenden Louis de Freycinet, die Welt. Rio de Janeiro, Kapstadt, Mauritius, Australien, Neuseeland, Montevideo, Kalifornien lagen auf der Route des Forschungsschiffs "Uranie".
"Wir haben uns wieder einmal eingerichtet und zwar sehr gut eingerichtet bei dem lieben Gouverneur von Guam, der uns eine angenehme und komfortable Wohnung in seinem Palast zur Verfügung gestellt hat", schreibt Rose an ihre Pariser Freundin Caroline de Nanteuil von den Marianen-Inseln nach Paris. Diese "Briefe von der Uranie" sind das Dokument ihrer spektakulär unspektakulären Reise um die Welt.
Rose trotzt Stürmen, dem Anblick von "halbnackten Wilden", der Cholera an Bord, Skorpionen unterm Bett, der Langeweile bei langer Seefahrt, Schiffbruch und bleibt sich und ihrer französischen Lebensart doch immer treu. Sie schreibt von Begegnungen mit einheimischen und anderen Größen ihrer Zeit, von opulenten Abendessen, der Mode der Damen zwischen Rio und Mauritius, dem Preis von Tüll und Seide, von Sklaven, Standes- und Rassenunterschieden. Sie bewundert die Bequemlichkeit einer Sänfte auf Mauritius und vergisst nicht, darauf zu verweisen, dass darin "die Rüschen an den Kleidern zerdrückt werden".
Rose lebt unter lauter Männern ihr Frauenleben: sorgt mit zartem Hühnchenfleisch für die Kranken, stickt, liest. "Ich verbrachte jeden Tag eine Stunde damit, Gitarre zu lernen, eine Stunde mit dem Schreiben meines Tagebuchs, eine Stunde mit dem Erlernen der englischen Sprache und eine Stunde mit der Nadel. Auf diese Weise kam das Ende des Tages ohne dass ich mich langweilen musste."
Die Briefe von der Uranie sind leicht lesbare Gesellschaftsprotokolle aus exotischen Welten. Das schön aufgemachte Hardcover-Buch mit vielen historischen Fußnoten, Karten und Abbildungen aus der französischen Originalausgabe von 1927 ist ein historisches Schatzkästchen.
Rose analysiert nicht, psychologisiert nicht, stellt nicht viele Fragen. Sie ist eine disziplinierte, pragmatische Chronistin mit weiblichem Blick. Die wohlerzogene Französin bewertet alles aus dem kulturellen Korsett ihrer Zeit. Sie beschreibt ausgiebig die Kleidung der Eingeborenen, ihre Rituale, ihre Art zu feiern.
Doch all diese Wunderlichkeiten, Andersartigkeiten lesen sich wie aus dem Nähkästchen geplaudert, ohne großes Erstaunen, ohne große Begeisterung. Zwar macht ihr Mann ganz neue wissenschaftliche Beobachtungen, kartografiert die Welt und holt unzählige Auskünfte über Sitten und Gebräuche ein, aber Rose geht in ihren Briefen an die Freundin kaum ins Detail. So bleiben ihre Schilderungen oft oberflächliche Wahrnehmungen.
Rose ist nicht die erste Frau, die in die Welt aufbrach und darüber berichtete. Lady E. Craven, eine der wohlhabenden Victorinan Travelling Ladies, bereiste schon Ende des 18. Jahrhunderts Russland und die Türkei. Die Wienerin Ida Pfeiffer (1797-1858), wagt zwei Weltumrundungen, die sie unter anderem nach Lateinamerika und in die Südsee führen. Auch sie hielt ihre Reiseeindrücke schriftlich fest. Das Buch "Frauen - Reisen um die Welt ab 1785", erschienen im Orlanda Verlag, berichtetet von den Abenteuern und dem Aufbruch der Frauen. Viele dieser Frauen wie Ida Hahn-Hahn, die zwischen 1835 und 1845 die Welt bereiste und beschrieb oder ihrer Zeitgenossin Louise Mühlbach nutzen ihre weitläufigen Reisen, um "sich von familiärer Bevormundung und herrschendem Rollendiktat zu befreien".
Nicht so Rose. Sie richtet sich gottgegeben und selbstverständlich im Schatten ihres Mannes ein, "um für ihn da zu sein".
Michael Uszinski, Übersetzer und Herausgeber: "Rose de Freycinet - Briefe von der Uranie". Verlag der Pioniere, 2011, 71 Abbildungen und Karten, 351 Seiten, 39 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!