: BSE: Kinkel in London!
■ EU-Agrarminister beraten in Luxemburg über die Folgen der BSE-Seuche. Reformhäuser profitieren von der Angst
Luxemburg/Frankfurt am Main (dpa/AP) – In Luxemburg tagten gestern die Agrarminister der EU. Neue Erkenntnisse über den Rinderwahnsinn und seine politischen Folgen lagen ihnen nicht vor. Die Experten sind noch damit beschäftigt, den Milliardenschaden der Notschlachtungen britischer Rinder auszurechen. Selbst Großbritanniens Landwirtschaftsminister Douglas Hogg erwartet nicht, daß das Rinder-Exportverbot für sein Land bald aufgehoben werde. Um den außenpolitischen Schaden zu begrenzen, flog am Nachmittaag der deutsche Außeniminister Klaus Kinkel nach London, „zu regulären Konsultationen“, wie es in Bonn hieß.
In Deutschland ißt kaum noch jemand Rindfleisch aus der Kaufhauskühltruhe. Doch die Reformhäuser profitieren von der Angst vor dem Rinderwahnsinn und gentechnisch manipulierten Lebensmitteln. Vor allem die Kosmetika, die ohne tierische Bestandteile hergestellt würden, aber auch pflanzliche Brotaufstriche und andere vegetarische Alternativen zu Fleisch und Wurst seien in den vergangenen Wochen verstärkt verlangt worden, sagte der Vorstandssprecher der neuform-Vereinigung Deutscher Reformhäuser, Hans-Walter Goll, gestern in Frankfurt. Dennoch rechnet Goll – „vielleicht mit Ausnahme des Kosmetikabsatzes“ – für 1996 nicht mit Umsatzsteigerungen. Die Preise für Bioprodukte hätten wegen des größeren Angebots nachgegeben, außerdem koste der allgemeine Trend zur gesunden Ernährung, der sich auch in immer mehr Bio- Ecken in Supermärkten zeige, die Reformhäuser Marktanteile. Doch trotz ungünstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen konnten die 2.689 Verkaufsstellen der neuform-Vereinigung laut Goll ihren Umsatz bei 1,25 Milliarden Mark halten.
Die Fachgeschäfte profitieren nach Darstellung von Geschäftsführer Andreas Weritz-Schaefer davon, daß neuform-Waren „schon immer aus ethischen und gesundheitlichen Gründen keine Rohstoffe vom toten Tier“ enthalten dürfen. Bei Lebensmitteln gibt es also keine Fleisch- und Wurstwaren, in der Kosmetik kein Collagen, keine Frischzellenextrakte oder Placenta. Lediglich Gelatine- kapseln als Naturarzneimittel würden verkauft, da für Gelatine nur gesunde, frisch geschlachtete Tiere verwendet werden dürften und Gelatineprodukte – „nach allem, was bisher bekannt ist“ – unbedenklich seien. Erzeugnisse vom lebenden Tier, also Milch und Milchprodukte sowie Eier, stammten, so Weritz-Schaefer, in den neuform-Läden aus artgerechter Tierhaltung. Das Füttern mit Tierkörpermehl sei verboten.
Der Umsatz mit Lebensmitteln stieg nach Darstellung von Goll im vergangenen Jahr um 3,4 Prozent und hat damit einen Anteil von 55,1 Prozent am Gesamtumsatz erreicht. Gestiegene Nachfrage bei Brot und Backwaren ohne Fertigbackmischungen, aber vor allem zweistelligen Wachstumsraten bei Soja- und Tofuprodukten und pflanzlichen Brotaufstrichen hätten hier positiv gewirkt. Ursache sei neben der Gewißheit, daß neuform-Lebensmittel nicht gentechnisch manipuliert würden, auch die Zunahme von umwelt- und nahrungsmittelbedingten Allergien. Hier könnten die neuform-Händler zu jedem Produkt eine Liste mit Inhaltsstoffen vorlegen.
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