BONN APART: Demokratie in Bonn
■ Über grüne Irrungen und demokratische Gepflogenheiten
Von der Stasifestung in der Ostberliner Normannenstraße wollte am Donnerstag der Republiksprecherrat des Neuen Forums den Protest nach Bonn vor die Bundestagsabgeordneten tragen. „Wir lassen uns überprüfen“, hatten sie auf die Transparente geschrieben, die sie den weiten Weg in die so fremde Hauptstadt am Rhein mitgeschleppt hatten. Die Abgeordneten bekamen den Protest nicht einmal mit. Dafür konnten die Vertreter des Neuen Forums Erfahrungen sammeln, wie Demokratie funktioniert in einer richtigen Hauptstadt. Bonn ist eben nicht Ost-Berlin. Da kann man nicht einfach den Protest vor das Volkskammergebäude tragen. Eine wehrhafte Demokratie hat statt dessen ihre Bannmeilenverordnung. So landeten die Personalien der Noch-DDR-Bürger im westdeutschen Polizei-Computer — zur geflissentlichen Weiterverwendung nach der Vereinigung. Von Regen der Stasi-Akte in die Traufe der VS-Computer?
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Christian Ströbele, Sprecher des Bundesvorstands der Grünen, versuchte am vergangenen Sonntag vergeblich, als Beobachter zum Programmkongreß der Linken Liste/PDS in Ost-Berlin zu gelangen. Kräftige Herren in schwarzen Lederjacken verwehrten den Einlaß, nachdem der Grüne kein Delegiertenkärtchen vorweisen konnte. Auch die Bitte, doch beim PDS- Vorsitzenden Gysi nachzufragen, wurde souverän ignoriert. Den Einwurf Ströbeles, es ginge ja zu wie früher an den DDR- Grenzkontrollstellen, quittierten die Lederjacken mit stolzer Zustimmung. Möglicherweise, so fragte sich Ströbele hinterher, habe der Rauswurf nicht dem Grünen- Bundesvorstand gegolten, sondern sei dem Umstand geschuldet, daß er am Revers ein Button mit einem Lenin-Abbild getragen habe.
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Die Grünen haben eine neue Selbstdarstellungsbroschüre herausgebracht. Titel: Wer wir sind — und was wir wollen. Möglicherweise wird die zweite Auflage eine Korrektur erfahren müssen. Stein des Anstoßes ist ein Foto vom Parteitag in Hagen, das den Tisch des Kongreßpräsidiums zeigt. Über dem Foto steht: „Grün ist machbar — Grün ist notwendig!“ Doch für so richtig notwendig und machbar hielten die drei abgebildeten Präsidiumsmitglieder die Grünen wohl doch nicht: Die abgebildeten Birgit Arkenstette, Harald Wolf und Jürgen Reents haben inszwischen allesamt die Partei in Richtung Linke Liste/PDS verlassen. Gerd Nowakowski
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