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BGH-Urteil zur Sterbehilfe"Dem Sterben seinen Lauf lassen"

Das Durchschneiden eines Ernährungsschlauchs bei einer komatösen Frau ist legal - wenn dies ihrem Willen entspricht, entschied der Bundesgerichtshof.

Das Abschalten wird jetzt einfacher. Bild: dpa

KARLSRUHE taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe bekräftigt. Eine Heilbehandlung darf und muss abgebrochen werden, wenn dies dem Willen des Patienten enspricht. Im Konfliktfall darf dabei sogar der Schlauch zur Magensonde durchschnitten werden. Der BGH sprach deshalb den Münchener Anwalt Wolfgang Putz vom Vorwurf des versuchten gemeinschaftlichen Totschlags frei.

Im konkreten Fall hatte sich 2007 ein Pflegeheim geweigert, die künstliche Ernährung einer 76jährigen Frau einzustellen, die schon seit fünf Jahren im Wachkoma lag. Ihrer Tochter hatte die Rentnerin früher gesagt, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle.

Das Heim willigte zeitweise ein, machte dann aber aus Rechtsunsicherheit einen Rückzieher. Die Heimleitung drohte der Tochter sogar ein Hausverbot an, wenn sie die Magensonde der Mutter nicht akzeptiere.

Auf Anraten des Münchener Anwalts Wolfgang Putz durchtrennte die Tochter den Schlauch der Magensonde mit einer Schere, um ihre Mutter sterben zu lassen.

Doch die Aktion wurde entdeckt und die komatöse Frau erhielt sofort eine neue Magensonde. Sie starb später aus anderen Gründen. Ihre Tochter und Anwalt Putz wurden aber angeklagt.

Während die Tochter einen Freispruch erhielt, weil sie dem Anwalt vertraut hatte, wurde dieser vom Landgericht Fulda im April 2009 zu einer neun-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Der 2. Strafsenat des BGH sprach den Anwalt nun frei. Er folgte damit den übereinstimmenden Anträgen von Verteidigung und Bundesanwaltschaft. Entscheidend war für die Richter, dass sich die Mutter in einer "mündlichen Patientenverfügung" gegen eine künstliche Ernährung ausgesprochen hatte.

Die Wiederaufnahme der Sonden-Ernährung durch das Heim, sei deshalb ein "rechtswidriger Angriff" auf die komatöse Frau gewesen, so der BGH. Demgegenüber durften die Tochter und ihr Anwalt den Willen der Mutter durchsetzen.

Das Landgericht Fulda hatte auch nicht an einem entsprechenden Willen der Mutter gezweifelt. Es hielt diesen Willen aber nicht für geeignet, das Handeln von Tochter und Anwalt zu rechtfertigen. Denn die Fuldaer Richter sahen im Durchtrennen des Schlauches eine verbotene aktive Sterbehilfe. Diese ist auch dann strafbar, wenn der Kranke aktuell oder in einer früheren Patientenverfügung ausdrücklich darum bittet.

Doch der BGH stellte nun unmissverständlich klar: Immer wenn es um einen Behandlungsabbruch auf Wunsch des Patienten geht, ist dies eine erlaubte passive Sterbehilfe. Es komme nicht darauf an, ob der Behandlungsabbruch durch ein bloßes Unterlassen oder eine aktive Handlung vorgenommen wird.

Letztlich hänge es von "Zufälligkeiten" ab, so die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing-van Saan, ob auf das Nachfüllen einer Nährstofflösung verzichtet wird oder ob aktiv ein Gerät ausgeschaltet wird. Selbst das etwas rabiate Durchtrennen des Sondenschlauchs habe nur dazu gedient, dem "natürlichen Sterbeprozess seinen Lauf zu lassen", so die Richterin.

Das Gericht nutzte den Fall, um zugleich Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Auch bei einem Wachkoma sei der Behandlungsabbruch aufgrund einer früheren Patientenverfügung straffrei möglich, nicht nur wenn der Tod kurz bevorsteht. Und eine Genehmigung des Behandlungsabbruchs durch das Betreuungsgericht sei nur dann erforderlich, wenn Arzt und Betreuer bei der Auslegung der Patientenverfügung uneinig sind.

Der BGH berief sich dabei auf das 2009 vom Bundestag beschlossene Gesetz über die Patientenverfügung. "Was im Betreuungsrecht erlaubt ist, kann im Strafrecht nicht verboten sein", erklärte Richterin Rissing-van Saan. (Az: 2 StR 454/09)

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12 Kommentare

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  • DM
    Dr. med. Oliver Herrmann

    An Klaus Keller

    Wer medizinisch so wenig Ahnung hat wie Sie, sollte sich solcher Kommentare enthalten. Als Palliativmediziner weiß man, dass bei guter Mundpflege trotz fehlender Magensonde in aller Regel weder Hunger- noch Durstgefühle entstehen, schon gar nicht bei tief komatösen Patienten. Ein gesunder Mensch kann weit mehr als 10 Tage ohne Wasser und Nahrung auskommen, ich würde mich also gerne für Ihr "Experiment" zur Verfügung stellen... Überhaupt ist Ihr populistischer Stil unerträglich, auf ein solches Niveau sollte man sich hier gar nicht herabbegeben...

    Was sicher geklärt werden muss, aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch durch das Gericht geklärt wurde, ist, dass keine finanziellen Interessen der Tochter eine Rolle gespielt haben und das Zeugen für die Aussage der Mutter herangezogen wurden...

    Mit freundlichen Grüßen,

    Dr. med. Oliver Herrmann, Internist, Onkologe und Palliativmediziner

  • JS
    Jan S.

    an Hr. Klaus Keller:

     

    PS 1: Nicht wegen Nicht-Tötung durch Unterlassen, sondern nach herrschender Meinung in der Rechtsprechung des BGHs bei Verweigerung den Patienten zu töten aufgrund seines Verlangen in Form von "Parientenverfügungen" wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 StGB.

  • JS
    Jan S.

    An Kalus Keller:

     

    Ja, die Wahrheit tut manchmal sehr weh, aber vor dem Hintergrund nur noch verfehlter Richtlinien in der Politik, darf man sich über diesen euthanasistischen Wahnsinn nicht mehr aktiv aufregen! In der damaligen DDR wäre man wegen Zersetzung von der Stasi "kuriert" und "wieder auf 'richtigen' politischen Kurs" gebracht worden, brutalstmöglich. Nur eine wesentliche Info bezüglich ihres typischen Wahnsinns in weißen Kitteln, sie pumpen nämlich dem vorsätzlich dessen Nahrung enthaltenden und damit auch im Koma schmerzhaft gegen den Verhungerungstod kämpfenden Patienten dann solange mit Kamillentee voll, weil sie meinen er würde dadurch friedlich "einschlafen" statt diesen Menschen durch Unterlassen § 13 StGB zu töten, bis er verhungert ist! Wenn er nicht vorher schon an Kamillenteevergiftung verstorben wäre...

  • R
    Rod

    Wenn ein alter Mensch bereits 5 Jahre lang in einem Pflegeheim verbracht hat, dann gibt es kein Erbe mehr, dass man erschleichen könnte, weil das Pflegeheim nach so einer langen Zeit bereits das Vermögen und den Verkaufserlös von eventuellem Wohneigentum abgeschöpft hat.

    Danach wendet sich das Pflegeheim an die nächsten Verwandten, um diese mit seinen extrem überzogenen Rechnungen auszunehmen.

  • JS
    Jan S.

    § 216 a Straflosigkeit des passiven Sterbehelfens

     

    (1) Der Tatbestand des § 216 ist nicht verwirklicht, wenn

     

    1. der Tötungsverlangene die Tötung durch ausdrücklich notariell beurkundete Willenserklärung verlangt und dem Arzt durch diese Bescheinigung nachgewiesen hat, dass er sich davor ausreichend beraten hat lassen,

     

    2. der Tötungsvorgang von einem Arzt vorgenommen wird, durch Nahrungseinstellung intensiv-medizinischer Behandlung zwecks Todeseintrittes durch Verhungern und dabei medikamentiell gewährleistet wird, keine Qualen zu empfinden,

     

    3. mutmaßliche Einwilligungen sind davon ausgeschlossen.

     

    (2) Der mit einer solchen notariellen Willenserklärung des Tötungsverlangenden von einem Arzt vorgenommene Verhungerungstod ist nicht rechtswidrig, wenn die Tötung des Verlangenem unter Berücksichtigung des gegenwärtigen und zukünftigen pathologischen Zustandes des Verlangenem nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um wegen thantologischer, unnatürlicher und sinn -wie zweckloser Lebensverlängerungsmaßnahmen eine Beendigung dieses Lebens herbeizuführen, und diese Lebensbeendigungsmaßnahme das ultima ratio darstellt.

     

    (3) Dies gilt insbesondere in Fällen langzeitkomatöser Diagnosen, schwerste gesundheitlichen Schmerzen irrevisibler Art bei gleichzeitigem klarem Bewusstseins des Patienten, Siechtum. Bei Komafällen ist die Mindestdauer des die Rechtswidrigkeit der Tötung durch den Arzt ausschließenden Tatbestandes fünf Jahre. Danach ist, nachdem ein Beurteilungsspielraum des Artzes ausgeschöpft wurde, diese Maßnahme nach den Regeln der ärztlichen Kunst direkt durchzuführen.

     

    (4) Nächste Angehörige in aufsteigender Linie haben das Recht nur in den Fällen langzeitkomatöser Art, Einspruch dagegen einzulegen, sofern dies aus religiösen, familiären oder weltanschauungslichen Gründen erfolgt.

     

     

    (de lege ferenda!)

  • HK
    Hellmuth K l i m m e r

    Betr.: "In guten Kliniken wird geweint", 26./27.6.; S.16

     

    Der Beitrag Ihrer Kollegin A.Maier zum aktuellem, nun endlich eindeutig geregelten Problem "Erlaubte Sterbehilfe" ist ein journalistisch hervoragender, bestens geschriebener Artikel.

    Meiner Meinung nach ist er wirklich auszeichnungswürdig (mit einen der vielen Preise im Metier des Journalismus).

     

    Insbesondere die letzten Absätze im Interview gehen zu Herzen und zeigen, dass Ihre Kollegin "mit Herz" geschrieben hat.

     

    Herzliche Grüsse an alle so engagierten Kollegen.

     

    H.Klimmer

  • V
    vic

    Gute Entscheidung!

  • A
    atypixx

    Eine gute Entscheidung gut erklärt. So solls sein.

  • KK
    Klaus Keller

    Mit mir nicht!

     

     

    Die Mutter sagte der Tochter....sagt die Tochter...

     

    Wo ist den da der Patientenwille eindeutig dokumentiert?

     

    Wenn hier Betreuer mutmaßen oder behaupten dürfen platzt mir der Arsch!

     

    Übrigends nach dem entfernen einer solchen Sonde verhungert oder verdurstet der Mensch!

     

    Gegenvorschlag: alle die dies befürworten lassen sich von mir für 3 Tage an ein Bett Fesseln, ohne Nahrung und Flüssigkeit.

     

    Diese können dann danach entscheiden ob sie selbst später so sterben wollen auch wenns ggf länger dauert!

     

    PS1 ich habe eher den Eindruck die Tochter hat es nicht ausgehalten, dann hätte man ihr helfen müssen.

     

    PS2 man könnte noch prüfen welche finanziellen Effekte der Tot der Mutter hatte bzw ihre weitere Pflegebedürftigkeit gehabt hätte.

    Sollten wir als Gesellschaft hier sparen wollen, müssen wir uns niedere Beweggründe bescheinigen lassen!

     

    PS3 ich würde mich auch weigern die Sonde zu ziehen.

    - weswegen werde ich dann veurteilt?

    Wegen nicht-Tötung durch Unterlassung??

     

    klaus keller fachkrankenpfleger i.d.psych hanau

  • B
    Bucepahlus

    "Entscheidend war für die Richter, dass sich die Mutter in einer "mündlichen Patientenverfügung" gegen eine künstliche Ernährung ausgesprochen hatte. "

     

    Eine mündliche Patientenverfügung kann und darf nicht als Grundlage angewendet werden. Zu groß und zu einfach ist die Möglichkeit des Missbrauchs.

  • A
    anzugcase

    ERBSCHELICHERhilfe.

  • A
    anzugcase

    Wer überprüft eigentlich ob die abgegebene Willenserklärung freiwillig erfolgte? Genau wie Frauen über Wegnahme gemeinsamer Kinder zu Versorgungsansprüchen kommen können könnte bei Sterbehilfe Erbschleicherei vorliegen.