BERNHARD PÖTTER über KINDER : „Tina heute Windel an“
Schon als Einjährige lernt man die Grundregeln der Politik: dass man banale Weisheiten penetrant wiederholen muss
So in etwa zehn Jahren wird alles genau umgekehrt sein. Tinas Freundinnen, die zu dieser Zeit dann aktuelle Version von Robbie Williams, das Pony aus ihren Pferdegeschichten – sie alle werden unsere Tochter verstehen. Nur ihre Eltern nicht.
„Meine Alten verstehen mich einfach nicht, die sind voll krass drauf“, wird sie dann sagen.
Und wir werden klagen: „Keine Ahnung, was in sie gefahren ist. Wir verstehen sie nicht.“
So wird’s sein in zehn Jahren.
Zurzeit sind wir noch die Einzigen, die sie verstehen. Routiniert registrieren wir die wirkliche Bedeutung von „Buangung“ (Buch angucken), „Bumbidate“ (Gitarre), „Abubup“ (Apfelsaft) „Tambomin“ (Trampolin) und „will nich schlafen“ (ich bin todmüde). Wir beobachten das Wunder des Spracherwerbs. Unsere Tochter hängt an unseren Lippen. Sie lernt von uns. Wir lernen von ihr. Zum Beispiel, dass wir offensichtlich ganz gewaltig nuscheln.
Irgendwie habe ich es geschafft, auch nach PISA noch keine Bücher zu lesen, die „Das Wunderhirn des Säugling“ oder so heißen. Mich hat der wunde Hintern des Säuglings notdurftgedrungen immer viel mehr interessiert. Trotzdem kann man im Moment jeden Tag zusehen, wie sich in Tinas Hirn wieder ein paar Synapsen mehr die Hand reichen. Sie wusste schon immer, dass Lautstärke ein gutes Argument ist.
Jetzt lernt sie die Grundregeln jedes Politikers: dass banale Worte sich direkt in Handlungen umsetzen lassen („Ich will Joghurt!“). Dass man einfache Weisheiten penetrant wiederholen muss („Tina heute Windel an“). Und dass etwas dann richtig ist, wenn die gesamte Umgebung zustimmt („Okay, wenn du darauf bestehst, Tina, dann ist morgen eben Weihnachten“).
Ihr Bruder lernt auf einem anderen Niveau ebenfalls, dass Nachplappern glücklich macht. „Hauaju“, „TwickoTweat“ und „Mememberme“ sind Nachwirkungen seines Halloween-Besuchs in den USA und seiner wöchentlichen Englischstunde. Bisher hat Jonas mit seinen Bundstiften leise gemalt. Jetzt lautmalt er wieder.
Und wir? Begreifen eine einfache Wahrheit jeden Tag aufs Neue. Dass wir lernen, indem wir nachmachen. Dass wir begreifen, indem wir nachsprechen. Dass Meinungen zu Glaubensinhalten werden, indem alle sie nachbeten. Zum Beispiel Sätze wie: „Die Erde ist eine Scheibe.“ Ommmmm.
„Niemand hat die Absicht, in Berlin eine Mauer zu errichten.“ Ommmmm.
„Die Agenda 2010 bringt den Aufschwung.“ Ommmmm.
Nicht nur die Politik profitiert vom Herdentrieb der Meinungsbildung. Ihre hässliche Schwester, die Werbung, basiert eigentlich nur auf diesem Prinzip. Der Marlboro Man, der VW Käfer, der Weiße Riese – sie funktionieren nur, weil ihre Botschaft so oft wiederholt wurde, dass wir sie verinnerlicht haben.
Dagegen ist nichts zu sagen. Wenn unsere Denkstrukturen nun mal so simpel sind, dann muss eben das Denken im Gleichschritt stattfinden. Hätte mir Frau Haberbusch in der 1 b nicht das Alphabet eingebimst, würde ich nie eine Adresse im Telefonbuch finden.
Zum Problem wird die ganze Geschichte erst, wenn es keine Rückkopplung mehr gibt, welcher Quatsch da gerade verbreitet wird. Und warum sind all die schlauen Werbefuzzis noch nicht darauf gekommen, dass ihre Botschaften vom gewöhnlichen Durchschnittskretin so gelesen werden, wie sie formuliert sind?
Also die Botschaft, die ich mit nach Hause nehme: T-Mobile mit „Ich leb online“ (zu Deutsch: „Fahr den Computer runter, und mit mir ist nichts mehr los“ oder auch: „Bei mir holt man sich schlimme Viren!“). Die deutsche Steinkohleindustrie: „Wir haben eine Sonnenenergie, die auch bei Regen funktioniert – die Kohle“ (zu Deutsch: „Wir sind clever und heizen nicht das Haus, sondern gleich die ganze Atmosphäre“). Oder auch die Sozialdemokratische Partei Deutschland: „Das Wichtige tun“ (zu Deutsch: „Wir sind die Wichtigtuer“).
Fragen zu Kindern? kolumne@taz.deMorgen: Peter Ahrens über PROVINZ