BERNHARD PÖTTER über KINDER : Die Relativitätstheorie im Praxistest
Erwachsen sein (III): Albert Einstein war vielleicht der größte Physiker – auf jeden Fall aber ein komischer Erwachsener
Was bisher geschah: Der Autor hat drei Kinder. Aber er fühlt sich nicht wirklich erwachsen.
„Guck mal Papa, der macht so!“ Tina streckt mir die Zunge raus. Das Plakat zeigt das berühmte Foto, auf dem Albert Einstein mit wirrem Haarschopf und voller Freude der Kamera die Zunge hinhält. Meine Tochter ist fasziniert: „Ein komischer Erwachsener.“
Kein Zufall, dass eine Dreijährige derzeit überall auf das größte Physikgenie aller Zeiten stößt. (Einstein würde sagen: „Gott würfelt nicht!“). Denn Albert Einstein kann man momentan ja nicht entgehen. Hundert Jahre Relativitätstheorie! Überall Titelblätter und Sonderbeilagen mit dem Wuschelkopf. Jeden Morgen ein weiser Ausspruch des Meisters im „Inforadio Berlin-Brandenburg“, unter dem originellen Rubriktitel „relativ richtig, Herr Einstein“. An der Schweizer Botschaft und dem Kanzleramt in Berlin hängen riesige Zitate von ihm: „Echte Demokratie ist doch kein leerer Wahn“ und „Der Staat ist für den Menschen und nicht die Menschen für den Staat“. Typische Elternsprüche eben.
Bei den „großen Deutschen“ des ZDF schaffte es Einstein auf Platz 10 – auch wenn er seit 1901 Schweizer war. Schließlich hat er die Physik völlig verändert. Auch wenn außer „Egleichemzehquadrat“ niemand weiß, was genau er entwickelt hat. Oder was besagt noch gleich die Relativitätstheorie? Na?
Ich weiß es auch nicht. (So ungefähr: Raum und Zeit sind keine absoluten Größen. Große Massen und Geschwindigkeiten verlangsamen die Zeit und verändern den Raum: Die Sonne mit ihrer Masse krümmt den Raum. In einer Rakete, die mit annähernder Lichtgeschwindigkeit fliegt, vergeht die Zeit langsamer als auf der Erde.) Aber ich weiß, wen man fragen kann: Die Macher der sehenswerten Ausstellung „Albert Einstein (1879–1955)“, die ab 16. Juni 2005 im Historischen Museum in Bern zu sehen ist.
In der Ausstellung finden sich ein paar faszinierende Details über Einsteins Privatleben – und Beweise für Tinas Theorie, Einstein sei ein „komischer Erwachsener“ gewesen. Als zum Beispiel seine damalige Verlobte Mileva Maric schwanger wurde, fuhr sie aus der Schweiz in ihre Heimat in Serbien. Ihre Tochter kam dort zur Welt. Dann hörte man nie wieder von dem Kind. War sie gestorben? Zur Adoption freigegeben? Einfach vergessen? Im späteren Leben Einsteins taucht sie nicht mehr auf. Und als er sich 1914 von Maric trennte, diktierte er ihr einen Brief voller „Bedingungen“, unter denen er bereit war, weiter mit ihr unter einem Dach zu wohnen. Die sahen zum Beispiel so aus: „Du sorgst dafür, dass meine Kleider und Wäsche ordentlich sind“, dass ihm „drei Mahlzeiten täglich ordentlich vorgesetzt werden“. Sie verzichte ausdrücklich „auf alle persönlichen Beziehungen zu mir“, habe weder Zärtlichkeiten zu erwarten, Vorwürfe zu machen und eine „an mich gerichtete Rede sofort zu sistieren, wenn ich dich darum ersuche“ und das „Schlaf- und Arbeitszimmer sofort ohne Widerrede zu verlassen, wenn ich dich darum ersuche.“
„Der war mir ja ein schönes Genie“, sagt Anna. „So was verlangen wir ja nicht mal von unseren Kindern.“ (Wenn ich ehrlich bin, hatte ich mir schon überlegt, wie ich Tina und Jonas dazu bringe, eine an mich gerichtete Rede sofort zu sistieren, wenn ich sie darum ersuche. Oder mein Arbeitszimmer nach Aufforderung sofort und ohne Widerrede zu verlassen. Dafür müsste mir schon was Geniales einfallen.)
Aber auch wenn Einstein nicht jeden Tag mit seinen Kindern gespielt hat – wie das Leben mit ihnen sein kann, hat er in der Relativitätstheorie genau beschrieben: Je größer die Menge an Kindern um mich herum, desto langsamer vergeht die Zeit bis zum Schlafengehen. Je schneller die Beschleunigung auf dem Schlitten mit Jonas, desto jünger werde ich. Je dichter die Masse von Kindern im Spielzimmer, desto mehr krümmt sich der Raum. Und je schneller die Kinder groß werden, desto mehr rutschen wir in die Infantilität.
Oder wie Tina sagt: „Wenn wir erwachsen sind, dann seid ihr die Kinder.“
Nächste Folge: Einstein reloaded
BERNHARD PÖTTER KINDER Fragen zu Vater Einstein? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler ZEITSCHLEIFE