BEHINDERUNG: Versorgung überbrückt
Eine neue gynäkologische Praxis ist auf die Bedürfnisse von Frauen im Rollstuhl ausgelegt. Die Nachfrage ist groß - bisher fehlte eine angemessen Versorgung
Die erste Hürde ist die, einen behindertengerechten Parkplatz zu finden. Dann kommt die Frage, ob es mit einem Rollstuhl überhaupt möglich ist in die Arztpraxis zu gelangen. Für Frauen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, gehen in einer gynäkologischen Praxis die Probleme dann noch weiter. Die Umkleide ist zu klein, der Stuhl nicht in der Höhe verstellbar und schwer zu erklimmen. Swantje Köbsell vom Bremer Netzwerk behinderter FrauenLesben kennt viele Rollstuhlfahrerinnen, die deshalb einen Frauenarzt nur zur Not aufgesucht haben, wenn sie Beschwerden hatten, nicht aber für Vorsorgeuntersuchungen. Bei manchen wurde deshalb ein Krebsleiden zu spät erkannt.
Immerhin 18.200 Frauen sind in Bremen auf eine barrierefreie oder barrierearme Zugänglichkeit angewiesen, insbesondere 2.500 Frauen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung. Für sie hat sich die medizinische Versorgung nun verbessert: Seit Anfang Oktober gibt es auf dem Gelände des Klinikums Bremen-Mitte eine gynäkologische Ambulanz speziell für Frauen mit Mobilitätsbehinderung. Von 79 Frauenarztpraxen im Land Bremen ist sie die erste, die umfassend barrierefrei ist: Die Räume, Toiletten und Umkleiden bieten ausreichend Platz. Vor allem aber gibt es einen verstellbaren Stuhl für die gynäkologischen Untersuchungen und einen Hebelift, der aus dem Rollstuhl hilft. Neben den technischen Voraussetzungen wird für Behandlungen auch mehr Zeit als üblich eingeplant -zwischen einer und anderthalb Stunden. Die Nachfrage ist groß. Laut Christoph Fox von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sind die Termine bis Ende des Jahres ausgebucht. Die KV organisiert die Terminvergabe und die Koordination zwischen den Ärzten, die für die Behandlungen in die Ambulanz kommen.
Das ist bundesweit einmalig. gynäkologische Ambulanzen, die auf die Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Frauen eingestellt sind, gibt es auch in Frankfurt, Dachau und Berlin. In Bremen aber können die Patientinnen zwischen zehn niedergelassenen ÄrztInnen wählen, die Mittwochsnachmittags in der Ambulanz behandeln. Seit 2008 arbeitete der runde Tisch "Gesundheitliche Versorgung mobilitätseingeschränkter Frauen" daran, dies zu realisieren. Gestartet wurde die Initiative von der Beratungsstelle Selbstbestimmt Leben, der bremischen Gleichstellungsstelle und dem Bremer Netzwerk behinderter FrauenLesben. "Am Anfang waren die wichtigen Stellen noch in Abwehrhaltung," so die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe. "Wir sprachen von einem Versorgungsmissstand, den es nicht geben durfte." Die Idee einer Ambulanz auf dem Klinikgelände sei bei den ÄrztInnen erst nicht gut angekommen, die Krankenkassen hätten Angst vor den Zusatzkosten gehabt. Letztendlich kam es dann aber doch zu einer Lösung. Der Berufsverband der Frauenärzte engagiert sich für die Ambulanz, getragen wird sie von der Kassenärztliche Vereinigung, der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit und dem Klinikum Bremen-Mitte, das die Räume zur Verfügung stellt. Die Helmut und Ruth Märtens-Stiftung und die Gesundheitssenatorin finanzierten die Erstausstattung. "Damit versorgen wir nun eine Zielgruppe, die zuvor nirgends reingekommen ist", so Hauffe. Die Ambulanz aber sei nur der erste Schritt, weitere Facharztgruppen müssten folgen.
Auch der Landesbehindertenbeauftragte, Joachim Steinbrück, begrüßt die Einrichtung, sieht aber die Umstände der Versorgung kritisch: "Einerseits schließt die Ambulanz eine Versorgungslücke, andererseits schaffen wir im Grunde eine Sondereinrichtung", sagte Steinbrück. "Das man sich im Jahr 2011 damit behelfen muss, zeigt, wie defizitär das System ist." Für Köbsell darf die Ambulanz nicht zu einer Ausrede werden. Eine wirklich freie Arztwahl sei nur möglich, wenn der Zugang zu Praxen generell barrierefrei wäre. Bislang gibt es in Bremen keine Pläne für weitere Ambulanzen, die den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung entsprechen.
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