: BEFREIT INS ALTER
■ The Sweet im Quartier Latin
Die Frage, die zumindest ältere Journalisten bewegte, die Ausgangsfrage, die doch immerhin abschließende Antworten auf ein, wenn nicht wohin gehen wir, so doch ein wohin ist er gegangen bringen sollte; kurz: die Frage nach Brian Connolly, dem ehemaligen Bandleader, der in mageren Jahren den Bandnamen für sich benutzen konnte und damit bei Joe, in Preetz oder in der ehemaligen DDR tourte - traurige Touren waren das und dann war er verschollen; dann mußte er angeblich anstehen in Middlesex oder Manchester für karge Sozialhilfe - der Teufel hat den Schnaps gemacht, um uns zu verderben -; diese Frage nach Ihm, die sich stellte auf Grund des Promotionfotos, auf dem er doch drauf zu sein schien; diese Frage wurde lapidar und schnell beantwortet: er ist es nicht, er war es nicht, und vielleicht ist er auch schon lange tot. Und der, der so aussah und -sieht ist Andy Scott, Leadgitarrist der Ursprungscombo, und es ist eine erschütternde Entdeckung, daß der jetzt schon so aussieht wie Brian Connolly.
Dreißig Mark Abendkasse sind ja nun doch „ein bißchen happig“, meinte ein bärtiger Rocker, der nicht ins Konzert ging und sich nach dem Konzert bestätigt fühlen konnte, denn die Sweets spielten nicht den „guten, alten Bongorock“ („Co -Co“, „Wigwam Bam“, „Little Willy“ usw.), sondern präsentierten sich als Heavy Metal Act; mit viel Schnickschnack und aufregenden Gimmicks, mit ins Publikum gerichteten Scheinwerfern, lustigen Rauchbomben usw.
„The Sweet - Hellraiser's 89“ stand auf der Eintrittskarte. Hellraiser haben kräftige Schnurrbärte und lange Haare, Hellraiser haben diesen fettigen Fußballerblick. Kurz sind Hellraiserhaare vorne und lassen die Stirn frei; hinten sind sie lang. Der Hellraiserblick ist glasig-entschlossen. Und freundlich trinken sie viele Büchsen Bier.
Scheinbar spielt da „eine der zahlreichen drittklassigen, unterbezahlten und überarbeiteten Discothekenbands“ (Barry Graves) vor ihren arbeitslosen Fans. In Bezug auf die Band mag das stimmen; sie kamen gerade aus Ludwigshafen und mußten vier Stunden an der Grenze warten, und alle hatten nicht mehr als zwei Stunden geschlafen, und Mick Tucker, der hünenhafte Schwuchteldrummer der Ursprungsformation scheint vor allem gegen die eigene Müdigkeit nach zwanzig Jahren angestrengter Bühnenpräsenz anzutrommeln - am Ende ist er wach und wird auch noch den größten Meckerer unangespitzt in den Boden hauen - und alle trinken sehr viel Becksbier. Das ist der „desolation boulevard“ der ewigen Verlierer. Ermunternd rufen sie sich zu „you just gotta be strong, if you're part of the 60ties“. Beware!
Das Publikum jedoch macht sich einen eher grausamen Spaß mit ihnen; „we want Sweet“ skandieren sie immer wieder. Genau so, wie es '74 schon als Vorspann zu „Teenage Rampage“ zu hören war. Die Band, die zuletzt die alten Hits aus „starken Zeiten“ (so der Titel einer 88er LP) noch einmal neu abgemischt veröffentlichte, entkommt dem schwächenden Wiederholungszwang, unter dem sie steht, der ihr abverlangt wird, nur selten. Dann aber wirr-todesmutig, mit einem „if we don't fuck you someone else will“.
Man nannte ihre Songs „pure Meisterwerke musikalischen Plunders“, Masturbationsrock, der pubertierenden Fans das Bedürfnis nach problemloser Selbstentäußerung ermöglichte. Problemlos selbst entäußern können die sich auch jetzt noch, die Fans, die „Westies“, denen ein „set me free“ gewidmet ist -, wenn sie sich an einer zynischen Wiederholung ihrer selbst beteiligen. Und die Sweets werden sich damit abfinden müssen, daß immer die gleiche Show „will last forever“. Immer müssen sie ruhelos weiterspielen, weil das Geld vorn und hinten nicht reicht. Befreit ins Alter: „Recognize your Age it's a Teenage Rampage. Now!“
Detlef Kuhlbrodt
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