BBC-World-Chefin über Fake-News: „Ein politischer Begriff“
Die BBC muss mehr Aufwand in das stecken, was dort schon immer getan wurde: „Behauptungen prüfen“, sagt World-Chefin Francesca Unsworth.
taz: Frau Unsworth, zum EU-Referendum startete die BBC das Angebot „Reality Check“ – noch bevor „Fake News“ Dauerthema wurden. Weil Ihnen bewusst war, dass die Kampagne von Falschbehauptungen geprägt sein würde?
Francesca Unsworth: Nicht ganz. Wir rechneten nicht mit Falschbehauptungen der Art, wie wir sie heute unter „Fake News“ verstehen – also schlicht erfundene Geschichten. Es ging eher um Aussagen, die unserer Ansicht nach eine Überprüfung verdienten.
Wie die Behauptung der „Leave“-Kampagne, dass durch den Brexit 350 Millionen Pfund wöchentlich für die Gesundheitsversorgung gespart würden?
Einsparungen in dieser Größenordnung sind theoretisch denkbar. Allerdings war die Zahl aus dem Kontext gerissen. Bei genauerer Betrachtung wurde klar, dass die mit ihr verbundene Behauptung unrealistisch war.
Geht es also weniger um „Fake News“ als um „Incomplete News“?
Es herrscht Uneinigkeit darüber, was mit „Fake News“ überhaupt gemeint ist. Geht es um Blogger in Estland, die sich virale Geschichten ausdenken, um Geld zu verdienen? Um Versuche, gezielt Wahlergebnisse zu beeinflussen – wie es im Zusammenhang mit dem US-Wahlkampf unterstellt wird? Oder schlicht um Nachrichten, die einem nicht passen? „Fake News“ ist ein politischer Begriff geworden. Für uns bei der BBC bedeutet das, dass wir mehr Aufwand in das stecken müssen, was wir schon immer getan haben: Behauptungen zu prüfen.
59 Jahre, leitet „BBC World Service“, das globale Nachrichtenangebot der British Broadcasting Company. Sie lebt in London.
Sind die vielen neuen Projekte gegen „Fake News“ nicht eigentlich ein kluges Vermarkten klassischer journalistischer Arbeit: Recherche?
Die sozialen Medien haben alles verändert. Früher bezog man Nachrichten von einer vertrauten Quelle. Inzwischen hat das Teilen zugenommen. Dadurch entwickeln Geschichten bisweilen eine gewisse Zugkraft, auch außerhalb der klassischen Medien. Gleichwohl nehme ich an, dass beim Publikum weiterhin das Bedürfnis besteht, zu wissen, welche Behauptungen wahr und welche falsch sind. Für manche ist das aber offensichtlicher als für andere. Nehmen wir die Geschichte, der Papst hätte Donald Trump unterstützt. Dem Nachrichtenjunkie wird sofort klar gewesen sein, dass da etwas nicht stimmen kann. Aber anderen eben nicht. Da kommen wir ins Spiel.
Was tut die BBC, was sie nicht „schon immer getan“ hat?
Einfach mehr davon. Im Moment ist der „Reality Check“ mit etwas sechs Mitarbeitern eine recht kleine Abteilung, die wir aber verdoppeln wollen. Zudem geht es um Vernetzung mit anderen, ähnlichen Projekten. Wir arbeiten auch an einem Netzwerk aus Experten. Experten, über die die BBC bereits verfügt, zum Beispiel Datenjournalisten.
Welche Rolle spielt Geschwindigkeit? Behauptungen verbreiten sich ja schneller, als man seriös recherchieren kann.
Wir können nicht das Internet überwachen. Vielmehr müssen wir beobachten, welche Behauptungen diese Zugkraft entwickeln. Dann geht es darum, sie zu überprüfen – wie wir es ohnehin gemacht hätten, aber mit vereinten Kräften. Die BBC ist groß, früher hätten verschiedene Redaktionen möglicherweise verschiedene Schwerpunkte gesetzt. In Zukunft soll das zentralisierter ablaufen. Zugleich müssen wir uns über die Ausspielkanäle Gedanken machen. Es kann nicht alles trocken und langweilig sein. Wir müssen Menschen mit unterschiedlichen Interessen ansprechen. Die Newsjunkies genau wie alle anderen.
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