: BAROCKES
■ L'autre pas, Berlin, bei „Early dance“, E 88
„Epigramme“ nennt die Gruppe L'autre pas aus Berlin ihren Tanzabend. Das macht Sinn, denn „pointierte Inschriften/Sinn - und Spottgedichte/Zuspitzungen“, so die Übersetzung, sind es tatsächlich, die da gezeigt werden. Zwar wird die Barockmusik wieder, wie auch bei den anderen Aufführungen des historischen Tanzes auf alten, von der Gruppe „Passepied Leger“ offenkundig schwer zu beherrschenden Instrumenten gespielt, bei den Kostümen und Bewegungen aber arbeiten die Tanzhistoriker Klaus Abromeit und Ulrike Sternberg witzig und scharf pointiert, eben epigrammatisch.
Im ersten Teil des Tanzstückes „Das Ganze im Halben“ tanzen Sabine Englert, Dagmar Jaenicke und Ulrike Sternberg die barocken Tänze mit klangvollen Namen, Sarabande pour femme oder Gaillard in modernen Kostümen, die man aufgrund des Stilzitates auch postmodern nennen könnte. Nur die auf dem Rücken zu schnürende Korsage und die reichverzierten Spangenschuhe wecken die Erinnerung an Kostüme um 1700. Aber schon das gesteppte Material des Leibchens, die weiten pludrigen Kniehosen und erst recht die harschen Farbkontraste von Schwarz mit Rot, Brombeer oder Senfgelb sind bewußte Stilbrüche, die den Tanz in seiner zeitlichen Einbettung bewußt machen wollen. es wird keine naive Authenzität angestrebt, wie ich sie bei anderen early-dance -Gruppen gesehen habe, sondern verschiedene Annäherungsversuche an die vergessenen Tänze als solche gezeigt. Die ästhetischen Grundformen des Barock werden stark stilisiert. So ist die Armhaltung besonders kokett und höfisch-formell geführt, und ab und an zückt man ein Taschenspiegelchen, um sich einen Leberfleck neben die Nase zu schminken. Zum Schluß tanzt man so künstlich geschminkt und bonbonbunt in stilistisch überhöhten Kostümen wie Barry Lyndon in Kubricks Film, wenn Ryan O'Neal noch als Falschspieler die Adelhöfe Europas betrügt.
Dann befinden wir uns in der Schulstunde. Die Tanzschrift, geeignet zur dauerhaften „Geometrisierung des Leibes“, wird erfunden. Ein Monsieur in Allongeperücke buchstabiert die jeweiligen Arm- und Beinbewegungen des Tänzers mit schwarzem Kohlestift an die weiße Wand. Es entsteht eine dekorative Kombination von Strichen und Bögen über das große Blat verteilt, das da für den Tanzboden steht.
Leider fügen sich im Lauf des Abends die nun folgenden Tanzteile mangels Spannung nicht zu einem zusammenhängenden Tanzstück. Die ganze Aufführung macht den Eindruck eines stockenden Motors, der zwar ständig neu gestartet wird, aber mangels Beschleunigung nicht recht in Fahrt kommt.
Susanne Raubold
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