: Azubis steuern eigene Karriere
AUS OBERHAUSEN NINA SELZER
Kein Schild, kein Aushang, keine Warnung. Auf den ersten Blick ist „MoKi“ ein ganz normaler Laden. Draußen, vor den etwa 50 Quadratmetern Schaufensterfläche, stehen mit Kinderjacken und Winterpullovern bepackte Kleiderständer. Kartons mit Spielzeug und Stofftiere warten auf Kundschaft. Wie die drei Auszubildenden im Laden, die hier heute auf 130 Quadratmeter Verkaufsfläche in der Oberhausener Innenstadt „Mode für Kinder“ an den Mann und an die Frau bringen sollen – ohne Chef und ohne die gewohnten Hierarchien.
Die Azubis, die seit Eröffnung des Ladens am 31. August bei MoKi das Zepter schwingen, kommen aus den Kaufhof-Filialen in Essen, Mülheim und Oberhausen. Sie stecken im dritten Ausbildungsjahr und gehen einmal in der Woche zur Berufsschule. Entwickelt und aufgebaut haben das Geschäft „Jungunternehmer“ aus dem zweiten und dritten Ausbildungsjahr. Insgesamt 33 Azubis haben in den Monaten vor der Eröffnung Konzepte für Sortiment, Betriebsorganisation, Warenwirtschaft und Marketing ausgearbeitet und sich in Workshops zum Thema „Konfliktmanagement“ auf den Ernstfall vorbereitet. Die Entscheidung, in welche Sparte die Truppe schließlich einsteigen sollte, fällte eine Jury, in der Kaufhof-Vorstandschef Lovro Mandac und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Bruns die Vorschläge der Azubis auf Realisierbarkeit prüften. Zur Auswahl standen neben der Idee mit der Kindermode auch Bücher, junge Mode oder Sport.
Mode für Kinder hat das Rennen gemacht. Leise Popmusik weht an diesem Vormittag durch den Raum, die Lampen leuchten weniger grell als etwa in den Filialen der großen Schwester. T-Shirts, Pullover und Spielwaren liegen gut sortiert an ihren Plätzen; die Kollegen von gestern haben den Shop ordentlich hinterlassen. Eine Kleidervorschrift gibt es bei MoKi nicht. Man trägt Strickrolli und Jeans, ein schwarzes Hemd zur schwarzen Hose oder einfach Jeans und T-Shirt. Keine öden Jäckchen im Einheitslook. Das wollten die jungen Leute so, und so wird es gemacht.
Nach vier Wochen Azubi-Shop ist die Stimmung gemischt. Zu wenige Kunden finden nach Renés Geschmack den Weg in „seinen“ Laden. „Die meisten Leute, die hier reinlaufen, wollen nur gucken“, sagt der 21-jährige, der seine Ausbildung bei Kaufhof in Mülheim macht. Britta ist da optimistischer. „Ach, das dauert bestimmt ein, zwei Jahre, bis der Shop richtig läuft“, sagt die 22-jährige mit dem zu einem Zopf gebundenen, lockigen Haar. Das wird die Generation, die heute MoKi führt, nicht mehr erleben. Im Mai 2007 stehen die Abschlussprüfungen an, René, Britta, Patrick und Daniel haben zunächst einmal den Wunsch, ihre Ausbildung mit Erfolg abzuschließen und dann möglichst übernommen zu werden.
Dafür zuständig fühlt sich Margit Leupold. Die MoKi-Projektleiterin schneit jeden Tag herein, begrüßt jeden einzelnen freundlich, fragt nach, ob es irgendwo klemmt, und hat ein Auge auf die Buchführung. Sie versteht sich dennoch primär als Ansprechpartnerin. „Das Besondere an MoKi ist, dass die Azubis hier anders lernen, mit einander umzugehen und den Beruf weniger standardisiert als üblich kennen lernen“, erzählt die in einem eleganten Kostüm gekleidete junge Frau mit den brünetten Haaren. „Hier lernen die Azubis den Berufsalltag von A bis Z kennen, von der Fähigkeit, sich selbst zu organisieren, bis zum Zusammenhang zwischen Umsatz und Kosten. Diese Chance haben sie in ihren Filialen sonst nicht. Dort lernt man selten den gesamten Ablauf kennen.“ Ziel des Projektes sei es auch, die in der Berufsschule angeeigneten theoretischen Grundlagen für eine spätere Selbstständigkeit praktisch anzuwenden, erklärt Margit Leupold, die als Personal- und Organisationsleiterin bei Kaufhof in Oberhausen beschäftigt ist. Auch eigne sich das Konzept dazu, spätere Führungskräfte zu rekrutieren. „Bei MoKi kann man schon absehen, wer Führungsqualitäten besitzt.“
Es bleibt ruhig an diesem Tag. Co-Chefin Britta hat dafür ihre eigene Erklärung. „Bei MoKi gibt es keine Payback-Punkte und auch nicht die üblichen Kaufhof-Rabatte“, sagt die junge Frau. Mittlerweile haben die Azubis im Blick, welche Produkte laufen und welche nicht. „Baby- und Kleinkindmode fehlen, da fragen viele nach“, erzählt René. „Wir haben eine Strichliste geführt, um feststellen zu können, wie viele Kunden wonach gefragt haben.“ Ende Oktober steht die erste Inventur an. „Die Auszubildenden werden dabei im Unterschied zu ihrer Arbeit in den anderen Filialen komplett in den Prozess von Planung und Ablauf mit eingebunden“, erklärt Margit Leupold.
Am Nachmittag ist mehr los im Laden. Es kommen mehr Kunden, auch welche, die eben nicht „nur mal gucken“ wollen, sondern tatsächlich den Umsatz mehren. So wie Rosemarie Verhoelfen. Die Endfünfzigerin, die mit Tochter und Enkelin in den Laden gekommen ist, weiß genau, wo sie ist. „Ich habe durch Mundpropaganda von dem Geschäft erfahren, von Bekannten, die begeistert waren und den Laden weiterempfohlen haben.“ Und? Skeptisch? Nein, das ist sie nicht. Die Idee eines von Azubis geführten Unternehmens findet sie gut. „Man muss den Jugendlichen heute doch eine Chance geben!“ Rosemarie Verhoelfen, selbst vom Fach, ist mit Sortiment und Beratung zufrieden. „Ich habe lieber mit einer freundlichen Jungen zu tun als mit so einer alten Schrulle, die immer ein langes Gesicht zieht“, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln.
Nicht mal Verdi hat an dem Konzept etwas auszusetzen. „Die Azubi-Filiale ist eine Bereicherung für den Beruf als Einzelhandelskauffrau und -kaufmann“, sagt Henrike Greven, Geschäftsführerin der Dienstleistungsgewerkschaft im Bezirk Mülheim-Oberhausen. Gerade erst hat sie ein Video gesehen, das den langen Weg bis zur Shop-Eröffnung zeigt. „Eine klasse Geschichte. Die Azubis haben den Laden fast eigenverantwortlich aufgebaut und waren von Beginn an in die Praxis eingebunden“, sagt Greven. „Das war schon faszinierend.“ Ob sie damit nicht doch überfordert seien? „Keinesfalls. Die Azubis sind nicht alleine, sie werden von der Projektleitung hervorragend betreut“, so Greven. „Und dass die Jugendlichen ihre Konzepte einer Jury mit so wichtigen Mitgliedern präsentieren konnten, war eine Chance, die viele ihr Leben lang nicht bekommen.“
Die Einnahmen an diesem Tag sind eher mau. Zwar gebe es hier durchaus Vorstellungen seitens des Konzerns. Wenn aber der Umsatz nicht stimmt, habe das keinerlei negative Konsequenzen für die „Geschäftsführer“. Patrick gibt sich zuversichtlich: „Das ist machbar, wenn wir uns nur richtig anstellen“, sagt der 23-Jährige mit dem dunklen Kinnbärtchen und dem schmalen Brillengestell.
Kurz vor 19 Uhr ertönt es für heute zum letzten Mal „Wiedersehn, schönen Tag noch.“ An der Kasse klebt ein Zettel mit der Aufschrift „Tagesabschlussplan“. Auf ihm sind 18 Schritte vermerkt, die bei Ladenschluss nicht vergessen werden dürfen. Von Deko reinholen über Büro abschließen bis Licht ausmachen. „Hast du den Aufenthaltsraum sauber gemacht“, fragt Britta ihren Kollegen René. „Nee, noch nicht, mach‘ ich aber gleich“, antwortet dieser. Britta: „Na, dann machen wir das schnell zusammen.“