Avatar und Zensur: Verzaubert in China
"Avatar" soll von der chinesischen Führung aus den Kinos genommen worden sein, weil in dem 3D-Epos zu viel von Freiheit die Rede ist. Stimmt gar nicht.
Für die Nachbarn des Filmmuseums am Stadtrand von Peking ist der Hollywood-Renner "Avatar" eine hübsche Geldquelle geworden: Schon morgens gegen sechs Uhr eilen einige an die Kinokasse, um die Tickets für den hochmodernen 3-D-Saal aufzukaufen. Im Laufe des Tages schlagen sie die Karten für ein Vielfaches los. Für Fünf-Euro-Plätze verlangen die "Gelben Ochsen", wie Schwarzhändler in China genannt werden, 25 Euro.
Drei Wochen nach dem Kinostart am 4. Januar bleibt der Film des Hollywood-Regisseurs James Cameron in Peking eine Zuschauersensation: Über 50 Millionen Euro hat er bereits eingespielt. Bis in den Februar hinein sind die Tickets für die größeren IMAX-Säle ausgebucht.
Allerdings läuft "Avatar" nicht mehr in den gewöhnlichen 2-D-Filmtheatern, weil die Hollywood-Produktion einheimischen Werken Platz machen muss. In den Tagen vor und während des Frühlingsfestes am 14. Februar drängen chinesische Verleihfirmen auf den Markt. In der Regel sind die Kinos, trotz hoher Eintrittspreise, zu dieser Zeit gut besucht. Insgesamt gibt es in China nicht viel mehr als 4.600 Kinos, darunter etwa 700 mit 3-D-Leinwänden.
So startet nun der Film über den legendären Staatsphilosophen "Konfuzius" mit dem berühmten Hongkonger Schauspieler Chao Yun-fat in der Hauptrolle. Eine große Werbekampagne begleitet die Premiere. Filmkritiker reagierten bislang lauwarm, zu langatmig sei der Streifen, befanden sie.
Derweil debattieren viele Chinesen derzeit über die Gründe für den erstaunlichen Erfolg von "Avatar": Der Film habe ihm "einen Schock versetzt", schwärmt der 27jährige Xu Minjun, der für einen der größten staatlichen Filmproduzenten Chinas Spezialeffekte entwirft. "Die Farben sind so üppig, die künstlichen Effekte so fantasievoll", sagt er. "Sie reiten auf fliegenden Drachen, ein einfacher Soldat verwandelt sich in einen Helden - das ist wunderbar." Mit seinen Freunden aus der Filmbranche ist er sich einig: "Die Verbindung von Kunstwelt und Menschen setzt technisch neue Maßstäbe."
Ähnlich äußerte sich auch der bekannte Regisseur Lu Chuan, dessen jüngster Film "Nanjing! Nanjing!" über die japanische Besetzung Chinas in den 30er Jahren große Erfolge feierte: "Ich fühlte mich, als ob ich in meine Kindheit zurückgekehrt und wieder ein kleiner Junge voller Träume bin." Als Filmemacher sei er "beschämt" darüber, wie weit chinesische Produktionen noch von der Perfektion und Reinheit "Avatars" entfernt seien, erklärte Lu.
"Avatar" mit seiner simplen Geschichte von bösen und zerstörerischen Menschen, die in den Planeten Pandora eindringen, um sich seiner wertvollen Rohstoffe zu bemächtigen, sei auch "ein Film über die Liebe und den Schutz der Natur", sagt die chinesische Dokumentarfilmerin Fu Qiong.
In den Internet-Foren diskutieren Zuschauer zugleich über die Botschaft, die der Film ihnen vermittelt habe: "Als ich ihn sah, dachte ich an den gewaltsamen Abriss von Häusern in China", schreibt eine junge Pekingerin. "Eine Sekunde lang habe ich auch an Tibet gedacht, als friedlicher Ort, der plötzlich angegriffen wurde... Deshalb war ich froh, dass es ein Happy-End gab."
Die große Resonanz hat die Verantwortlichen der staatlichen Film- und Fernsehbehörden, die für Lizenzen und Zensur verantwortlich sind, auf den Plan gerufen: Funktionäre und Produzenten fragten sich, welche Lehren Chinas Filmindustrie aus dem Erfolg von "Avatar" ziehen müsse.
Dabei herrscht Selbstkritik über die fehlende Kreativität der heimischen Unterhaltungsindustrie vor, berichten Insider. Schon nach dem Erfolg von "Kongfu-Panda" hatten sich die chinesischen Produzenten und Regisseure zerknirscht beklagt, warum wieder einmal den Amerikanern und nicht ihnen solch ein hübscher Film über einen Panda gelungen sei.
Noch schirmt sich die chinesische Filmindustrie von zuviel ausländischer Konkurrenz ab. Sie lässt jedes Jahr nur 20 Hollywood-Filme in Kinos, selten laufen sie länger als 14 Tage. In den Video-Shops allerdings sind fast alle ausländischen Produktionen zu haben, eine "Avatar"-DVD mit chinesischen Untertiteln kostet rund einen Euro.
Die 27jährige Pekinger Angestellte Wang, die sich sonst ungerührt jeden Film als Raubkopie anschaut, ist zum ersten Mal strikt dagegen: „`Avatar` als 2-D-Film zu sehen, ist ein Sünde", sagt sie. Sie hat sich gerade eine Karte bestellt, um sich den Film zum zweiten Mal in einem IMAX-Kino anzuschauen.
Auf ihrer persönlichen Seite im Internet hat sie ihr Foto - ebenso wie das ihres Freundes und des gemeinsamen Hundes - so verfremdet, dass alle drei grün-bläulich, spitzohrig und breitnasig aussehen wie das Volk der NAVI auf dem Planeten Pandora. "Ich kann mir nicht helfen, ich bin ganz verzaubert", schwärmt sie.
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