■ Autos durchs Brandenburger Tor: Die wahren Christos
Durch das Brandenburger Tor rutscht seit gestern die Blechlawine. Die CDU konnte mit der Toröffnung vier Monate vor der Abgeordnetenhauswahl den antiquierten Traum einer Autostadt durchsetzen. Zwar nur für drei Wochen, dafür aber an einem der symbolisch bedeutendsten Orte dieser Stadt. Darüber hinaus aber haben der Regierende Diepgen und Verkehrssenator Haase dem sozialdemokratischen Bausenator übel mitgespielt. Die beiden CDU-Politiker ließen ihren Senatskollegen ankündigen, eine freie Fahrt werde es nur frühmorgens geben, obwohl sie längst wußten, daß der Verkehr Tag und Nacht rollen wird. Die ganze Stadt lacht über einen Nagel, der zuvor für genau diesen Fall Barrikaden angekündigt hatte, aber gestern nur noch hilflos irgend etwas von Vertrauensmißbrauch stammelte. So mußte sich der Bausenator in seiner über sechsjährigen Amtszeit noch nie vorführen lassen.
Trotz dieser Demütigung herrschte morgens bei einer Krisensitzung in der Bauverwaltung humorvolle Stimmung. Man wollte Christo fragen, ob er neben dem Reichstag nicht auch das Brandenburger Tor verhüllt, oder den Kultursenator als Eigentümer dazu bewegen, das Bauwerk nach Amerika zu verkaufen. Der leidvolle Streit ums Auf und Zu und Auf und Zu wäre vorerst oder sogar für immer beigelegt gewesen. Doch natürlich konnte auch noch soviel Witz den Senator nicht mehr retten. Der ehemalige Wahlkampfmanager der SPD ist an seiner Idee, die Schlacht um Stimmen mit dem Streit um das Brandenburger Tor erfolgreich zu eröffnen, gescheitert. Ausgerechnet zwei Politiker der CDU, deren konservative Bundespartei jahrelang dem Aktionskünstler bulgarischer Herkunft verboten hatte, den Reichstag zu verhüllen, entpuppen sich jetzt als die wahren Christos: Diepgen und Haase haben Nagel einfach eingepackt. Dirk Wildt
Ausführlicher Bericht auf Seite 22
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen