Autorin Jane Bowles: Normen, überall Normen
Die Schriftstellerin Jane Bowles erzählt von Regelverstößen mit und ohne Alkohol. Ihr Gesamtwerk, gerade neu übersetzt, ist kompliziert, absurd – und wunderschön.
Die Erwartungen sind groß. Das Leben der Jane Bowles erzählt sich so dramatisch und abenteuerlich, dass man in ihren Geschichten unbedingt etwas sehr Besonderes lesen will, etwas Wildes, hemmungslos Exzentrisches.
Jane Bowles, 1917 in New York geboren, war eine rebellische und zynische, von Selbstzweifeln geplagte Schriftstellerin, die die meiste Zeit Schreibblockaden hatte und ihre Zeit mit Reisen, Drogen und Liebesaffären verbrachte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Paul Bowles, bereiste sie Südamerika, Europa und Afrika. Es war eine eigenartige Ehe, denn beide waren bi-, eher homosexuell und führten ihr Liebesleben außerhalb der Beziehung. Dennoch waren sie enge Vertraute.
Ab 1948 lebten sie mit anderen Autoren in Tanger. Im Jahr 1957, kurz nach ihrem 40. Geburtstag, erlitt Jane Bowles einen Schlaganfall und in dessen Folge immer wieder epileptische Anfälle. Ihr gesundheitlicher Zustand blieb von da an schlecht, sie schaffte es nicht mehr zu schreiben, wurde medikamenten- und alkoholabhängig und starb 1973, nach einem weiteren Schlaganfall und inzwischen erblindet, im spanischen Malaga.
Das wenige, das Jane Bowles geschrieben hat, ist nun in einer schönen Buchkassette und in einer deutschen Neuübersetzung erschienen. Wenn man Bowles heute neu oder wieder entdeckt, würde man sie gern als Ikone bezeichnen, vielleicht als queerfeministische Existenzialistin. Aber dagegen sperrt sich ihre Literatur dann doch. Gerade die Widersprüche machen diese Autorin so interessant.
Die Bowles-Gesamtausgabe besteht nun aus zwei Bänden. Dem Roman „Zwei ernsthafte Damen“, den sie mit Mitte zwanzig schrieb und durch den sie zur Vertreterin einer literarischen Avantgarde wurde, sowie dem Band „Einfache Freuden“, mit einem Theaterstück und sechs Kurzgeschichten. Zusätzlich gibt es Biografisches, bewundernde Essays von Truman Capote und Margit Schreiner, Zitate, Anekdoten, Bilder.
Verwirrend und surreal
Jane Bowles Texte sind auf eine sehr eigene Art einfühlsam und hart, oft verwirrend und surreal. Die Menschen, von denen sie erzählt, sind keine Heldinnen oder Helden. Sie leisten nichts Besonderes, wagen keine großen Sprünge. Sie sind im Großen und Ganzen banal, aber unberechenbar und anstrengend.
Ein Beispiel: Als Andy seine neue Bekannte, Miss Goering, fragt: „Meinst du, du könntest mich ein bisschen glücklich machen?“, antwortet sie: „Ach du meine Güte. Ich dachte, das hättest du hinter dir.“ Die Szene aus dem Roman „Zwei ernsthafte Damen“ ist typisch für Jane Bowles: Unbeholfenheit trifft auf schonungslose Direktheit. Wo sich in anderen Romanen eine Sexszene ergibt, entsteht bei Jane Bowles eine holprige Reihe von Missverständnissen. Und am Ende ein Gespräch über Plattenspieler und Marschmusik.
sonntaz
Diesen und weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 16./17. Juni 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Bowles geht mit ihren Figuren wenig zimperlich um, eher unsanft – wie wohl auch mit sich selbst: Sie hinkte, seit sie mit Vierzehn einen Reitunfall hatte, und nannte sich selber deswegen „Crippie the Kike Dyke“, die verkrüppelte Judenlesbe. Die Charaktere in ihren Büchern beschreibt sie mit einer eigenwillig distanzlosen Sprache: „Ihre Wangen waren schwabbelig und rosig, und ihre Nase hatte etwas Edles.“ Bowles erzählt so viel über kleine Macken und große Abgründe ihrer Figuren, dass man sich fast voyeuristisch fühlt, das zu lesen.
Die Frau mit der edlen Nase, Christina Goering, wird als religiös-entrücktes, dickes Mädchen dargestellt, dessen Kinderspiele sich um „Sünde“ und „Reinwaschen“ drehen. Später wird Miss Goering zu einer sturen, aber wankelmütigen Person. Ständig schwankt sie zwischen Bleiben und Gehen, zwischen Alt und Neu, kehrt zurück, zieht wieder los.
Dieses Motiv, der Gegensatz zwischen einem stabilen Zuhause und einem Leben auf Reisen, zieht sich durch Bowles’ Erzählungen. Zu Hause bleiben heißt: sicher und eingebunden bleiben, aber auch: sich und andere langweilen. Fortgehen heißt bei Bowles hingegen: etwas Neues anfangen, sich lossagen von der Gesellschaft oder gar vom Leben.
Neger?
Die Neuübersetzung von Brigitte Walitzek ist an einigen Stellen etwas befremdlich. Dass eine Frau, die Locken will, ihr Haar „ondulieren“ lässt, passt noch zur damaligen Zeit. Aber dass in einer Übersetzung aus dem Jahr 2012 der Begriff „Neger“ verwendet wird, und zwar nicht nur in der direkten wörtlichen Rede – da wird auch von „Mischlingen und Negern“ gesprochen –, ist mehr als ungeschickt. Egal welches Wort im Original steht, solche Wörter haben heute eine komplett rassistische Bedeutung. Solche politischen Tabubrüche haben Jane Bowles’ Texte nicht nötig.
Denn sie sind auch so schon voll von Normverstoß und Regelbruch. Bowles’ Geschichten sind deswegen so irritierend, weil ihre Figuren immer wieder die bestehenden Normen unterlaufen. Immer wieder benehmen sie sich daneben, unanständig, unerwartet – und dann wieder überraschend, „normal“ und nachvollziehbar. Diese Freiheit, dieses ständige Neuanfangen, hat etwas zugleich Verstörendes und Wunderschönes an sich, und vielleicht ist gerade das so besonders an Jane Bowles’ Werk. Es ist eine Mischung aus Alltäglichkeit und Anarchie, die faszinierend und befreiend wirkt.
In der Kurzgeschichte „Einfache Freuden“ geht es um das Zusammentreffen zweier Einzelgänger. Eine alleinstehende Frau mittleren Alters lernt eines Tages im Hausflur ihren Nachbarn kennen, nachdem sie schon viele Jahre übereinander gewohnt haben. Sie lädt ihn zum Kartoffelrösten auf dem Hof ein. Nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen haben, fragt sie: „Mögen Sie einfache, gewöhnliche Freuden?“
Sie unterhalten sich, und zum Dank lädt er sie für den nächsten Abend in ein Restaurant ein. Die Frau betrinkt sich und verkündet ihrem Gegenüber stolz, dass sie keinerlei Interesse hat, seine Ehe- und Hausfrau zu werden. Dann legt sie ihre Perlenkette in die Soße auf ihrem Teller, steht auf und geht die Treppe hoch. Sie legt sich in ein leeres Bett und schläft besoffen ein.
Die Frage nach den Regeln des Zusammenlebens wird bei Jane Bowles selten direkt aufgeworfen, steht aber ständig im Raum. Die Normen werden dabei auf ungewohnte Weise sichtbar, gerade weil sie nicht erfüllt werden. Sie sind wie die Ritzen zwischen Gehwegplatten, die erst dann Bedeutung kriegen, wenn Kinder spielen, dass man auf sie nicht drauftreten darf.
Unberechenbare Frauen
Fast alle Charaktere tun bei Bowles immer wieder Dinge, die sie nicht richtig wollen, die sie in Schwierigkeiten bringen oder die von anderen missverstanden werden. Die Männer in Bowles’ Geschichten sind dabei noch einigermaßen berechenbar, die Frauen nicht. Auch die Beziehungen zwischen zwei Frauen sind facettenreicher als die zwischen Männern und Frauen. Dabei sind die weiblichen Figuren bei Bowles längst nicht alle starke Charaktere. Sie sind oft weinerlich, unzufrieden, zerrissen – und dann wieder extrovertiert, hart und zynisch.
Es ist deswegen schwierig oder sogar unmöglich, die einzelnen Personen in Bowles’ Geschichten angemessen zu beschreiben oder den Fortgang der Geschichten vorauszusagen. Promiskuität, Alkohol, Nervenzusammenbrüche – irgendwas kommt immer dazwischen. So zerrissen ist auch die Selbstanalyse der Figuren.
In „Camp Cataract“ erzählt Harriet von ihrer Liebe zur Freiheit, ihren Drang, zu reisen. „Ich habe nicht das Geringste für Sicherheit übrig“, erklärt sie. Dann aber betont sie, sie verachte „alles, was nach ungehemmtem Freiheitsdrang riecht“, und: „Unverheiratete Frauen, die allein aufbrechen, haben für mich etwas überaus Abstoßendes.“ Sie findet sich daher selbst oberflächlich, sagt aber gleich: „Vielleicht fragst du dich, wie eine Frau oberflächlich sein und gleichzeitig wissen kann, dass sie es ist, aber das ist schließlich genau die Tragödie jeder Person, die sich vereinnahmen lässt.“
Wer Jane Bowles’ Werk heute neu liest, wird genau das nicht schaffen: es zu vereinnahmen. Und gerade das macht es so aufregend.
„Das Werk“. Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Walitzek. Schöffling & Co, Frankfurt a. M. 2012, 584 Seiten, 44 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“