piwik no script img

Autonome Töne

Robert Lippok ist ein stiller Held. Dass man ihm im Berliner Musikwesen bisher nicht begegnet ist, kann allerdings als nahezu ausgeschlossen gelten. Ob noch zu DDR-Zeiten als Mitgründer des Kollektivs Ornament & Verbrechen, seit den 90er Jahren im Postrock-Trio To Rococo Rot, als Musiker oder Bühnenbildner an diversen Theatern und noch in einigen anderen Zusammenhängen: Der Gelegenheiten waren und sind viele.

Solo hat sich Robert Lippok hingegen stets viel Zeit genommen für seine Alben. Mit „Applied Autonomy“ ist jetzt sein dritter Langspieler unter eigenem Namen erschienen, sieben Jahre nach „Redsuperstructure“. Einiges hat sich in der Zeit geändert, Lippok hat sich noch weiter freigeschwommen, und obwohl er im Grunde beim selben Label geblieben ist, heißt es nicht mehr so wie früher.

„Redsuperstructure“ erschien noch bei Raster-Noton, der Fusion der Labels Rastermusik von Olaf Bender und Frank Bretschneider einerseits und Noton von Carsten Nicolai andererseits. „Applied Autonomy“ wird hingegen auf Raster veröffentlicht, man geht inzwischen eben wieder getrennter Wege.

Das mit der Autonomie im Titel ist übrigens auch durchaus ernst zu nehmen. Denn Robert Lippok, der seine elektronischen Strukturbildungsmaßnahmen ebenso in Galerien wie auch in Technoclubs an lebenden Objekten erprobt, hat keine Scheu, seine Musik in der Schwebe zu halten zwischen diesen beiden Anwendungsmöglichkeiten, die ohnehin in kontinuierlichem Zusammenhang stehen.

Bei fast jedem Stück steht es einem daher frei, sich zu entscheiden, ob man zu diesen Klängen, sofern es einem gelingt, tanzen oder sich ihnen eher ohne rhythmischen ­Körpereinsatz widmen möchte.

Lippok variiert durchgehend sein Vokabular, lässt mal knarrende Bässe den Raum zersägen, mal psychische Wellenformen die Luft unter Spannung setzen oder ein Geflecht aus flirrenden Linien entstehen. Und in der abschließenden Nummer „samtal“ spielt er sogar zeitgleich mit der schwedischen Elektronikerin Klara Lewis. 14 Minuten autonome Ambient-Improvisation aus ­heranwehenden Akkorden, sachtem Pulsieren am Rande der Wahrnehmung und fernem Gewittergrollen. Anwendung gelungen.

Tim Caspar Boehme

Robert Lippok: „Applied Autonomy“ (Raster/Rough Trade)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen