Autokinos: Nostalgie auf Rädern

Der NDR zeigt Mainstream-Filme in einem Autokino, das er in verschiedenen Städten im Norden aufbaut. Es handelt sich um eine Werbeaktion, die zugleich an eine fast ausgestorbene Populärkultur erinnert.

Zum Abschied gab's den Film "Matrix": Das Autokino in Hamburg-Billbrook schloss im Jahr 2003. Bild: dpa

BEMEN taz | Das Auto und das Kino wurden fast aufs Jahr genau gleichzeitig erfunden und vor allem die Amerikaner liebten beide von Anfang an heftig. Also lag es auf der Hand, die beiden technischen Neuerungen zu verbinden: 1933 wurde das erste Autokino in Camden, New Jersey eröffnet. In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren wurden sie ein Massenphänomen, das punktuell auch Deutschland erreichte. Mittlerweile gibt es hierzulande fast keine Autokinos mehr, weswegen es immer einige Aufmerksamkeit verspricht, ein Autokino anzubieten.

Das hat der NDR kapiert: Die NDR-Jugendwelle N-Joy installiert ab kommenden Mittwoch an verschiedenen Orten in Norddeutschland temporäre Autokinos. Gezeigt wird lustiges und actionreiches Mainstream-Kino und der Ton wird über eine eigens eingerichtet Frequenz über das Autoradio empfangen.

Während es in den USA zeitweise bis zu 4.000 Autokinos gab, waren die Autokinos in Deutschland nie wirklich erfolgreich. Zuerst wurden sie für amerikanische Soldaten und ihre Familien eingerichtet, das erste 1960 in Gravenbruch bei Frankfurt. Es gehört zu den wenigen, die auch heute noch in Betrieb sind.

Die wenigen Autokinos in Deutschland erlangten bald Kultstatus. Nur in den Autokinos konnte man lange vor der Eröffnung der ersten McDonalds-Filialen im Lande schon Hamburger essen – damals eine exotische Delikatesse. Der Ton wurde über kleine Lautsprecher mit langen Kabeln übertragen, die mit ins Auto genommen wurden. Und natürlich konnte niemand sehen, was in all den Wagen im Dunkeln passierte. Gerne wurden Zuschauer im Kofferraum eingeschmuggelt und an den Rändern gab es immer ein Paar Zaungäste, die die Filme zwar ohne Ton, aber dafür umsonst sehen konnten.

Mit dabei waren Filme, die extra für die Autokinos produziert worden waren: Roger Corman wäre ohne diesen Absatzmarkt nie solch ein erfolgreicher Produzent von Horror- und billigen Science-Fiction-Filmen geworden.

Seltsamerweise gab es auch in der DDR Autokinos. Das „Autokino Zempow“ in Brandenburg eröffnete 1977 als erstes und ist immer noch in Betrieb. In keinem anderen Bundesland sind noch so viele Autokinos in Betrieb wie in Mecklenburg-Vorpommern. Auf der Insel Usedom wird etwa in den Sommermonaten ein Autokino auf einem Parkplatz aufgebaut.

In den alten Bundesländern Norddeutschlands gab es dagegen nur wenige Autokinos. Die meisten rentierten sich von den 1990er-Jahren an nicht mehr. So schloss 1992 das Autokino Delmenhorst, in dem – eher unüblich – auch Sexfilme gezeigt wurden. 1997 musste in Hannover das Autokino Messe geschlossen werden, weil der Bauplatz für die Expo gebraucht wurde. 2011 gab es dort für drei Tage ein „Revival“, das zwar gut besucht, in den folgenden Jahren aber nicht wiederholt wurde.

In Hamburg-Billbrook machte 2003 das letzte durchgängig bespielte Autokino der Region zu. Die Umweltbehörde hatte verfügt, dass das Gelände bodensaniert werden musste, weil es sich um eine alte Industriebrache handelte und Faulgase durchsickerten. Damals schrieb Peter Ahrens in einen sehr persönlichen Nachruf in der taz.hamburg unter der Überschrift „Alles Schöne wird einem genommen“: „Die 50er-Jahre-Nostalgie, manche brauchen die ja noch, um das Altwerden zu verschmerzen. Die riesige Leinwand, die sich ins Unendliche zu erweitern schien ... Der Himmel war unsere Leinwand, und Luke Skywalker kam irgendwo von der Vega oder vom Sirus.“

Übrig bleibt heute das Autokino als Event. Für ein paar Tage aufgebaut als eine Reminiszenz. Es gab sogar schon eine Gala-Version: 2008 wurden anlässlich der 50. Nordischen Filmtage in Lübeck 50 Kleinwagen auf den Marktplatz gestellt, in denen Zuschauer dann für einen Benefizpreis von 50 Euro eine dänische Liebeskomödie ansehen durften.

Auch die Tour des NDR ist in erster Linie eine Werbeaktion für die Jugendwelle N-Joy. Vom nächsten Mittwoch an werden in Osnabrück (Halle Gartlage), Oldenburg (Weser-Ems-Halle), Verden (Warwickplatz), Lingen (Rohstraße 33) und Damme (Am Stadtmuseum 3) jeweils fünf Tage lang Filme wie „Fast and Furious 6“, „Wolverine“, „Hangover 3“ und „Elysium“ gezeigt. Die Filme beginnen bei Einbruch der Dunkelheit. Ein Ticket kostet 19,50 Euro pro Auto mit zwei Fahrgästen, jeder weitere Fahrgast muss sieben Euro dazubezahlen.

Ein wenig mehr Fantasie bei der Programmauswahl für die N-Joy-Autokino-Tour wäre schön gewesen. So hätte sich eine reizvolle Dopplung mit Filmen, die zum Teil in Autokinos spielen, angeboten. Etwa „American Graffiti“ von George Lucas oder „Targets“ von Peter Bogdanovich, in dem Boris Karloff zugleich auf und vor der riesigen Leinwand eines Autokinos auftaucht. Wenn schon Nostalgie, dann konsequent in Form und Inhalt. Aber die Veranstalter wollten offensichtlich kein Risiko mit alten Filmen eingehen.

N-Joy-Autokino-Tour: 28. August bis 1. September: Osnabrück, Halle Gartlage; 4. bis 8. September: Oldenburg, Weser-Ems-Halle; 11. bis 15. September: Verden, Warwickplatz; 18. bis 22. September: Lingen, Rohstraße 33; 25. bis 29. September: Damme, Am Stadtmuseum 3

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